Johann Offenberger: Die "Pfahlbauten" der Salzkammergutseen: Unterschied zwischen den Versionen

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Keller kannte aus lokalen Überlieferungen die ins Wasser gebauten Fischerhütten in der Limmat und wahrscheinlich die Schilderung des Pfahlbaues im Otsego-See durch J. F. Cooper im „Wildtöter“. Seine Rekonstruktionszeichnung eines Pfahlbaudorfes lehnt sich jedoch deutlich an die Darstellung einer Siedlung an der Doreh-Bai in West-Neuguinea an, die in einem Reisebericht des französischen Marineoffiziers Dumont d´Urville im Jahr 1827 erschienen war. Keller führt Bericht und Abbildung ausdrücklich als Beweis für die Existenz von Wasserpfahlbauten an [7].
 
Keller kannte aus lokalen Überlieferungen die ins Wasser gebauten Fischerhütten in der Limmat und wahrscheinlich die Schilderung des Pfahlbaues im Otsego-See durch J. F. Cooper im „Wildtöter“. Seine Rekonstruktionszeichnung eines Pfahlbaudorfes lehnt sich jedoch deutlich an die Darstellung einer Siedlung an der Doreh-Bai in West-Neuguinea an, die in einem Reisebericht des französischen Marineoffiziers Dumont d´Urville im Jahr 1827 erschienen war. Keller führt Bericht und Abbildung ausdrücklich als Beweis für die Existenz von Wasserpfahlbauten an [7].
  
[[Datei: Keller 1854.jpeg|thumb|380px| Abb 2. Erste Pfahlbaurekonstruktion F. Keller´s, 1854.]]
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[[Datei: Keller 1854.jpeg|thumb|330px| Abb 2. Erste Pfahlbaurekonstruktion F. Keller´s, 1854.]]

Version vom 9. Oktober 2024, 21:59 Uhr

‘‘‘Offenberger 1981, Johann: Die "Pfahlbauten" der Salzkammergutseen‘‘‘


In: „Das Mondseeland – Geschichte und Kultur“; Ausstellungskatalog zur OÖ Landesausstellung 1981 in Schloss Mondsee. S. 295–357. Herausgeber: Kulturabteilung des Amtes der OÖ. Landesregierung

(Transkript aus Ausstellungkatalog mit schriftlicher Genehmigung Amt OÖ LReg vom 26.1.2024)
Anm.: Der Text wurde orthographisch aktualisiert.


Die Pfahlbauvorstellung des 19. Jahrhunderts

Die Untersuchung prähistorischer Siedlungsreste in den Seen des schweizerischen Mittellandes Mitte des 19. Jahrhunderts und ihre Deutung als Wasserpfahlbauten wirkte wie kaum eine andere Entdeckung der Urgeschichtsforschung auf die Phantasie von Forschern und Laien. Detailreiche Rekonstruktionen – Modelle, Gemälde und Zeichnungen – wurden in Fachpublikationen, Zeitungen, Kalendern und Schulbüchern veröffentlicht, trugen diese Vorstellungen in ein breites Publikum und machten sie zum Allgemeingut der Geschichte.

Der Streit um die Deutung dieser Siedlungen als Wasserpfahlbauten ist nie ganz erloschen. Erst in jüngster Zeit haben neue Forschungsergebnisse die Diskussion wieder in Gang gebracht. Die Auseinandersetzungen wurden zeitweilig nicht hinter verschlossenen Türen, sondern sehr emotional vor einer staunenden Öffentlichkeit abgehandelt. Anstatt wissenschaftlicher Argumente wurden persönliche Anfeindungen in die Diskussion getragen, die in den zwanziger Jahren – am Höhepunkt der Auseinandersetzungen – noch zusätzliche politische und nationale Motivationen erfuhr. Moderne Ausgrabungstechniken und die Beiziehung naturwissenschaftlicher Disziplinen zur Befundung der Grabungen haben dazu beigetragen, das Problem der Seeufer- und Feuchtbodensiedlungen distanzierter zu sehen und mit differenzierteren Methoden anzugehen.

Die Pfahlbaudarstellungen müssen vor dem Hintergrund ihrer Zeit betrachtet werden. Die ausgedehnten, dichten Pfahlfelder schienen ein Leben zwischen den Pfählen auszuschließen, sie konnten nur eine Plattform getragen haben. Reste von Holzkonstruktionen und Flechtwerkwänden wurden mit viel Phantasie zu Bauwerken ergänzt. Ethnographische Berichte und das Aussehen zeitgenössischer Boots- und Fischerhütten trugen zur Formung des Pfahlbaubildes bei. Noch unter dem Einfluss romantisierender Strömungen erlebten naturwissenschaftliche und archäologische Forschung auf dem Nährboden vaterländischer Begeisterung eine Blütezeit. In euphorischer Aufbruchstimmung war man der Meinung, das Pfahlbauproblem im Wesentlichen gelöst zu haben.

Abb 1. Pfahlbausiedlung am Murtensee/Fr., A. Marxer um 1900.

Der wissenschaftliche Fortschritt hat diese Vorstellungen überholt. Gemälde und Schulwandtafeln fristen meist ein verborgenes Dasein in Depots und Kellern. Unsere Zeit sollte sich auf ihren zeit- und forschungsgeschichtlichen Wert besinnen.

Zu Unrecht gilt meist der schweizerische Altertumsforscher Ferdinand Keller als Entdecker der Pfahlbauten. Erste Pfahlbaubeobachtungen stammen bereits aus dem 16. Jahrhundert. Im Jahr 1548 meldete Stumpf in seiner Schweizer Chronik, dass bei Arbon und Rohrschach im Bodensee „starke und breyte pfalment und maalzeichen starker gebeuwen“ auf dem Seegrund zu erkennen seien [1]. Vadian, Bürgermeister von St. Gallen und Rektor der Wiener Universität, deutete diese Pfahlfelder im „glaslauteren und stillen Wasser“ richtig als Überreste alter Siedlungen [2]. Im Jahr 1829 wurden erstmals an den Rändern des Zürcher Sees Pfahlfelder beobachtet [3], und1871/72 traten nach Absenkung des Seespiegels im Bielersee die Pfähle der Siedlungen Mörigen zu Tage [4]. Jedoch bereits 1843 war A. Jahn von Arbeitern auf das Pfahlwerk von Mörigen aufmerksam gemacht worden. Jahn beschrieb die Fundstelle als „uraltes Pfahlwerk von der Substruction einer bedeutenden Ansiedlung aus einer Zeit, wo der Wasserspiegel des Sees noch nicht die jetzige normale Höhe erreicht hatte“. Auch der Antiquar E. F. Müller erwähnt 1848 in seinem Briefwechsel mit F. Keller Funde aus den Pfahlwerken von Mörigen und Nidau-Steinberg. 1951 schreibt er an F. Keller über die Station Mörigen: „Diese bedeutenden Gebäulichkeiten müssen seiner Zeit durch ein bedeutendes Naturereignis, wovon die Geschichte nichts erwähnt, sich versenkt haben.“ Ing. W. R. Kutter hält in einer Schrift über „Die Juragewässerkorrektion des Jahres 1853“ fest, dass die Versumpfung des Seelandes erst in spätrömischer Zeit angefangen hätte und dass vorher der Wasserspiegel der Juraseen bedeutend tiefer gewesen sei [5]. Diese Untersuchungen führten in der Folge nicht nur zu Diskussionen um das Erstlingsrecht an der Entdeckung der Pfahlbauten, A. Jahn und E. G. Müller äußerten bereits sehr bestimmte Ansichten über Veränderungen der Niveaustände der Seen.

Im Jänner 1854 berichtet der Lehrer Äppli aus Obermeilen an F. Keller in Zürich: „Infolge der außerordentlichen Kälte während der Wintermonate von 1853 auf 1854 stellte sich im Alpengebiet die ungewöhnliche Erscheinung ein, dass sich die Flüsse ins Innere ihrer Bahn zurückzogen und die Spiegel der Seen bedeutend sanken, so dass an einem Orte ein breiter Strand das Schwinden des Wassers verkündete, am anderen eine nie gesehene Insel auftauchte …, dass man in dem vom Wasser verlassenen Seebette Überbleibsel menschlicher Tätigkeit aufgehoben habe, die geeignet seien, über den frühesten Zustand der Bewohner unserer Gegend unerwartetes Licht zu verbreiten.“

Im September des Jahres 1854 erschien aus der Feder F. Kellers der 1. Pfahlbaubericht, in dem er seine Interpretation der Siedlungsreste als Wasserpfahlbauten vortrug:

„… waren die Pfähle von Anfang an in den Seegrund eingetrieben und so lang, dass ihre oberen Spitzen bei jedem Stande des Wassers ein Paar Fuß aus demselben hervortraten! Sie bildeten in dichtem Wasser stehend und mit waagrecht liegenden Balken und Brettern bedeckt, ein festes Gerüste, einen Unterbau für die darauf zu erbauenden Wohnungen …“ Keller schließt mit den Sätzen: „Auf alle Beobachtungen uns stützend stehen wir nicht an, die Vermutung auszusprechen, dass die Erbauer der Seeansiedlungen ein Bruchtheil der keltohelvetischen Bevölkerung unseres Landes gewesen seien, glauben aber, dass die PFAHLBAUTEN, jedenfalls am Zürchersee, der vorhistorischen Zeit angehören …“ [6]. Die Priorität gebührt Keller nicht an der Entdeckung der Pfahlbauten – er selbst hat diese nie in Anspruch genommen –, wohl aber für die Interpretation dieser Siedlungen als Wassereinbauten.

Es lag in den Forschungsmethoden der damaligen Zeit begründet, dass zwar das Fundmaterial bereits relativchronologisch der Stein-, Bronze- oder Eisenzeit zugeordnet wurde, jedoch über die dazwischenliegenden Zeiträume keine genauen Vorstellungen bestanden. Die archäologischen Untersuchungen waren in erster Linie auf die Funde ausgerichtet, die Mehrphasigkeit der Siedlungen entging den Beobachtern. Die Unmenge an Pfählen konnte nach ihrer Vorstellung nur eine Plattform getragen haben. Detailfragen, wie diese Plattformen gebaut und die Hütten auf ihnen befestigt waren, ging man vorläufig nicht nach.

Keller kannte aus lokalen Überlieferungen die ins Wasser gebauten Fischerhütten in der Limmat und wahrscheinlich die Schilderung des Pfahlbaues im Otsego-See durch J. F. Cooper im „Wildtöter“. Seine Rekonstruktionszeichnung eines Pfahlbaudorfes lehnt sich jedoch deutlich an die Darstellung einer Siedlung an der Doreh-Bai in West-Neuguinea an, die in einem Reisebericht des französischen Marineoffiziers Dumont d´Urville im Jahr 1827 erschienen war. Keller führt Bericht und Abbildung ausdrücklich als Beweis für die Existenz von Wasserpfahlbauten an [7].

Abb 2. Erste Pfahlbaurekonstruktion F. Keller´s, 1854.