Johann Offenberger: Die "Pfahlbauten" der Salzkammergutseen: Unterschied zwischen den Versionen

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Als die Vermessungsarbeiten 1970 mit einer Gruppe von Sporttauchern begonnen wurden, konnte auf keinerlei Erfahrungen in der Binnengewässerarchäologie zurückgegriffen werden. Die von Meeresarchäologen unter günstigsten Sichtbedingungen erarbeiteten Vermessungsmethoden versagen im trüben Wasser der Salzkammergutseen. So wurden in ständigen Rücksprachen mit den Tauchern eigene Techniken entwickelt und laufend verbessert [26].
 
Als die Vermessungsarbeiten 1970 mit einer Gruppe von Sporttauchern begonnen wurden, konnte auf keinerlei Erfahrungen in der Binnengewässerarchäologie zurückgegriffen werden. Die von Meeresarchäologen unter günstigsten Sichtbedingungen erarbeiteten Vermessungsmethoden versagen im trüben Wasser der Salzkammergutseen. So wurden in ständigen Rücksprachen mit den Tauchern eigene Techniken entwickelt und laufend verbessert [26].
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==Die Pfahlbauuntersuchungen des Bundesdenkmalamtes==
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===Die Bestandsaufnahme===

Version vom 9. Oktober 2024, 22:26 Uhr

‘‘‘Offenberger 1981, Johann: Die "Pfahlbauten" der Salzkammergutseen‘‘‘


In: „Das Mondseeland – Geschichte und Kultur“; Ausstellungskatalog zur OÖ Landesausstellung 1981 in Schloss Mondsee. S. 295–357. Herausgeber: Kulturabteilung des Amtes der OÖ. Landesregierung

(Transkript aus Ausstellungkatalog mit schriftlicher Genehmigung Amt OÖ LReg vom 26.1.2024)
Anm.: Der Text wurde orthographisch aktualisiert.


Die Pfahlbauvorstellung des 19. Jahrhunderts

Die Untersuchung prähistorischer Siedlungsreste in den Seen des schweizerischen Mittellandes Mitte des 19. Jahrhunderts und ihre Deutung als Wasserpfahlbauten wirkte wie kaum eine andere Entdeckung der Urgeschichtsforschung auf die Phantasie von Forschern und Laien. Detailreiche Rekonstruktionen – Modelle, Gemälde und Zeichnungen – wurden in Fachpublikationen, Zeitungen, Kalendern und Schulbüchern veröffentlicht, trugen diese Vorstellungen in ein breites Publikum und machten sie zum Allgemeingut der Geschichte.

Der Streit um die Deutung dieser Siedlungen als Wasserpfahlbauten ist nie ganz erloschen. Erst in jüngster Zeit haben neue Forschungsergebnisse die Diskussion wieder in Gang gebracht. Die Auseinandersetzungen wurden zeitweilig nicht hinter verschlossenen Türen, sondern sehr emotional vor einer staunenden Öffentlichkeit abgehandelt. Anstatt wissenschaftlicher Argumente wurden persönliche Anfeindungen in die Diskussion getragen, die in den zwanziger Jahren – am Höhepunkt der Auseinandersetzungen – noch zusätzliche politische und nationale Motivationen erfuhr. Moderne Ausgrabungstechniken und die Beiziehung naturwissenschaftlicher Disziplinen zur Befundung der Grabungen haben dazu beigetragen, das Problem der Seeufer- und Feuchtbodensiedlungen distanzierter zu sehen und mit differenzierteren Methoden anzugehen.

Abb 1. Pfahlbausiedlung am Murtensee/Fr., A. Marxer um 1900.

Die Pfahlbaudarstellungen müssen vor dem Hintergrund ihrer Zeit betrachtet werden. Die ausgedehnten, dichten Pfahlfelder schienen ein Leben zwischen den Pfählen auszuschließen, sie konnten nur eine Plattform getragen haben. Reste von Holzkonstruktionen und Flechtwerkwänden wurden mit viel Phantasie zu Bauwerken ergänzt. Ethnographische Berichte und das Aussehen zeitgenössischer Boots- und Fischerhütten trugen zur Formung des Pfahlbaubildes bei. Noch unter dem Einfluss romantisierender Strömungen erlebten naturwissenschaftliche und archäologische Forschung auf dem Nährboden vaterländischer Begeisterung eine Blütezeit. In euphorischer Aufbruchstimmung war man der Meinung, das Pfahlbauproblem im Wesentlichen gelöst zu haben.

Der wissenschaftliche Fortschritt hat diese Vorstellungen überholt. Gemälde und Schulwandtafeln fristen meist ein verborgenes Dasein in Depots und Kellern. Unsere Zeit sollte sich auf ihren zeit- und forschungsgeschichtlichen Wert besinnen.

Zu Unrecht gilt meist der schweizerische Altertumsforscher Ferdinand Keller als Entdecker der Pfahlbauten. Erste Pfahlbaubeobachtungen stammen bereits aus dem 16. Jahrhundert. Im Jahr 1548 meldete Stumpf in seiner Schweizer Chronik, dass bei Arbon und Rohrschach im Bodensee „starke und breyte pfalment und maalzeichen starker gebeuwen“ auf dem Seegrund zu erkennen seien [1]. Vadian, Bürgermeister von St. Gallen und Rektor der Wiener Universität, deutete diese Pfahlfelder im „glaslauteren und stillen Wasser“ richtig als Überreste alter Siedlungen [2]. Im Jahr 1829 wurden erstmals an den Rändern des Zürcher Sees Pfahlfelder beobachtet [3], und1871/72 traten nach Absenkung des Seespiegels im Bielersee die Pfähle der Siedlungen Mörigen zu Tage [4]. Jedoch bereits 1843 war A. Jahn von Arbeitern auf das Pfahlwerk von Mörigen aufmerksam gemacht worden. Jahn beschrieb die Fundstelle als „uraltes Pfahlwerk von der Substruction einer bedeutenden Ansiedlung aus einer Zeit, wo der Wasserspiegel des Sees noch nicht die jetzige normale Höhe erreicht hatte“. Auch der Antiquar E. F. Müller erwähnt 1848 in seinem Briefwechsel mit F. Keller Funde aus den Pfahlwerken von Mörigen und Nidau-Steinberg. 1951 schreibt er an F. Keller über die Station Mörigen: „Diese bedeutenden Gebäulichkeiten müssen seiner Zeit durch ein bedeutendes Naturereignis, wovon die Geschichte nichts erwähnt, sich versenkt haben.“ Ing. W. R. Kutter hält in einer Schrift über „Die Juragewässerkorrektion des Jahres 1853“ fest, dass die Versumpfung des Seelandes erst in spätrömischer Zeit angefangen hätte und dass vorher der Wasserspiegel der Juraseen bedeutend tiefer gewesen sei [5]. Diese Untersuchungen führten in der Folge nicht nur zu Diskussionen um das Erstlingsrecht an der Entdeckung der Pfahlbauten, A. Jahn und E. G. Müller äußerten bereits sehr bestimmte Ansichten über Veränderungen der Niveaustände der Seen.

Im Jänner 1854 berichtet der Lehrer Äppli aus Obermeilen an F. Keller in Zürich: „Infolge der außerordentlichen Kälte während der Wintermonate von 1853 auf 1854 stellte sich im Alpengebiet die ungewöhnliche Erscheinung ein, dass sich die Flüsse ins Innere ihrer Bahn zurückzogen und die Spiegel der Seen bedeutend sanken, so dass an einem Orte ein breiter Strand das Schwinden des Wassers verkündete, am anderen eine nie gesehene Insel auftauchte …, dass man in dem vom Wasser verlassenen Seebette Überbleibsel menschlicher Tätigkeit aufgehoben habe, die geeignet seien, über den frühesten Zustand der Bewohner unserer Gegend unerwartetes Licht zu verbreiten.“

Im September des Jahres 1854 erschien aus der Feder F. Kellers der 1. Pfahlbaubericht, in dem er seine Interpretation der Siedlungsreste als Wasserpfahlbauten vortrug:

„… waren die Pfähle von Anfang an in den Seegrund eingetrieben und so lang, dass ihre oberen Spitzen bei jedem Stande des Wassers ein Paar Fuß aus demselben hervortraten! Sie bildeten in dichtem Wasser stehend und mit waagrecht liegenden Balken und Brettern bedeckt, ein festes Gerüste, einen Unterbau für die darauf zu erbauenden Wohnungen …“ Keller schließt mit den Sätzen: „Auf alle Beobachtungen uns stützend stehen wir nicht an, die Vermutung auszusprechen, dass die Erbauer der Seeansiedlungen ein Bruchtheil der keltohelvetischen Bevölkerung unseres Landes gewesen seien, glauben aber, dass die PFAHLBAUTEN, jedenfalls am Zürchersee, der vorhistorischen Zeit angehören …“ [6]. Die Priorität gebührt Keller nicht an der Entdeckung der Pfahlbauten – er selbst hat diese nie in Anspruch genommen –, wohl aber für die Interpretation dieser Siedlungen als Wassereinbauten.

Es lag in den Forschungsmethoden der damaligen Zeit begründet, dass zwar das Fundmaterial bereits relativchronologisch der Stein-, Bronze- oder Eisenzeit zugeordnet wurde, jedoch über die dazwischenliegenden Zeiträume keine genauen Vorstellungen bestanden. Die archäologischen Untersuchungen waren in erster Linie auf die Funde ausgerichtet, die Mehrphasigkeit der Siedlungen entging den Beobachtern. Die Unmenge an Pfählen konnte nach ihrer Vorstellung nur eine Plattform getragen haben. Detailfragen, wie diese Plattformen gebaut und die Hütten auf ihnen befestigt waren, ging man vorläufig nicht nach.

Keller kannte aus lokalen Überlieferungen die ins Wasser gebauten Fischerhütten in der Limmat und wahrscheinlich die Schilderung des Pfahlbaues im Otsego-See durch J. F. Cooper im „Wildtöter“. Seine Rekonstruktionszeichnung eines Pfahlbaudorfes lehnt sich jedoch deutlich an die Darstellung einer Siedlung an der Doreh-Bai in West-Neuguinea an, die in einem Reisebericht des französischen Marineoffiziers Dumont d´Urville im Jahr 1827 erschienen war. Keller führt Bericht und Abbildung ausdrücklich als Beweis für die Existenz von Wasserpfahlbauten an [7].

Abb 2. Erste Pfahlbaurekonstruktion F. Keller´s, 1854.

Noch zu Lebzeiten Kellers setzte nicht nur ein lebhafter Streit um die Namensgebung ein, indem sich Keller letztlich durchsetzte, es wurde auch seine Interpretation der Siedlungen als Wasserpfahlbauten nicht widerspruchslos hingenommen. Der Neuenburger Professor E. Desor verstieg sich sogar zu der Behauptung, die bronzezeitlichen Pfahlbauten seien phönizische Warenlager und Magazine gewesen [8]. Keller unterschied in seinem 3. Pfahlbaubericht bereits Moor- und Pfahlbauten. Er trennte die Moorsiedlungen als Packwerkbauten von seinen pfahlgetragenen Wasserbauten ab und beschrieb deren Unterbau als „… eine Masse von parallel und kreuzweise aufeinandergelegten Knitteln, deren unterste Schicht auf dem Seeboden ruht.“ [9]

F. Troyon wie auch spätere Forscher zogen antike Reisebeschreibungen und Darstellungen als Beweis für die Existenz von Pfahlbauten heran. Die klassische Schriftquelle ist Herodots Schilderung der Pfahlbauten der Pajonen im Prasiassee in Thrakien: „Auf Pfählen, die in großer Zahl in den Seegrund eingerammt waren, ruhte eine Plattform, die die einzelnen Häuser der Siedlung trug. Bei jeder Gründung eines neuen Haushaltes wurde die Plattform vergrößert. Sie ragte über den Seespiegel hinaus und enthielt Luken, durch die man Körbe ins Wasser hinabließ, um sie mit Fischen gefüllt wieder heraufzuziehen. Damit die Kinder nicht durch die Luken ins Wasser fallen konnten, band man sie wie die Schafe an den Füßen fest.“ [10]

1855 willigte F. Schwab ein, unter der Leitung von F. Keller eine Forschungsreise an den Prasiassee zu unternehmen, um jene „klassische Stelle“ zu erforschen, das Unternehmen kam jedoch nicht zustande. 1862 unternahm A. Morlot einen neuen Anlauf, ein französischer Gelehrter kam ihm aber zuvor, untersuchte noch im selben Jahr das Ufergelände des Sees und fand die Überreste der von Herodot beschriebenen Pfahlbauten [11].

Zwanzig Jahre später, 1875, ging die Forschung in Deutschland neue Wege. Grabungen in den Moorsiedlungen des Federseegebietes durch Frank und Paulus ergaben erste Hausgrundrisse. Weitere Ausgrabungen in den Mooren der Schweiz und Süddeutschlands zeigten den Forschern, dass die Fußböden der Häuser wiederholt erneuert wurden. In manchen Siedlungen wurden die Fußböden bei Erneuerung nicht entfernt, sodass die Ausgräber zeitweilig an schwimmende Flöße dachten. Diese frühen, schlecht befundeten Grabungen führten in der Literatur zum festen Begriff des „Packwerkbaues“.

In den Jahren 1919/20 gruben die Urgeschichtsforscher R. R. Schmidt und H. Reinerth in den Siedlungen des Federseemoores. Im Gegensatz zum Pfahlbaubegriff führten sie die Bezeichnung „Moorbau“ in die Literatur ein [12].

Anfang der zwanziger Jahre griff Reinerth die schweizerische Pfahlbautheorie heftig an und stellte die Behauptung auf, alle Pfahlbauten der Schweiz wären auf trockenem Land erbaut worden. Die Pfahlbauforscher spalteten sich in zwei Lager. Die Schweizer formierten sich unter Th. Ischer, der mit ethnographischem Beweismaterial und persönlichen Beobachtungen in den Juraseen gegen Reinerth auftrat. Der Genfer Naturforscher Prof. Rytz, der Paläobotaniker Prof. Tschumi und der Malakologe Dr. Favre bewiesen „mit absoluter Sicherheit“, dass die Seepfahlbauten im Wasser gestanden hatten [13].

Dr. D. Violier, der zunächst eine Annäherung an Reinerth gesucht hatte, stellte sich auf die Seite der Schweizer Forscher: „Unsere Pfahlbaustationen wurden tatsächlich ins Wasser hineingebaut. Das Vorhandensein von Brücken und Wellenbrechern erklärt sich damit von selbst.“

Die Diskussion artete in eine heftige Pressekampagne aus. Deutsche Zeitungen brachten als sensationelle Überschrift: „Die Pfahlbauten trockengelegt“, während Th. Ischer 1937/38 in Lüscherz zwei „Pfahlbaubrücken“ ausgrub und damit glaubte, die Pfahlbautheorie glänzend bewiesen zu haben. Der schwäbische Oberförster Staudacher behauptete, die Schweizer Pfahlbauten hätten wie die süddeutschen Moorbauten auf ebener Erde gelegen. Der Württemberger O. Paret suchte, wie Ischer formulierte, „mit der Selbstsicherheit eines Sektenpredigers in einem unverfrorenen Pamphlet die schweizerische Pfahlbauforschung unter dem höhnischen Titel: `Die Pfahlbauten – ein Nachruf´ lächerlich zu machen.“ O. Paret erklärte, noch niemand habe versucht, seine technischen Einwände gegen die Pfahlbauten zu widerlegen und Ischer antwortete ihm: „Der Pfahlbau kann nicht aus dem engen Horizont schwäbischer Moorsiedlungen, sondern nur von globalen Aspekten aus beurteilt werden“ und führte u. a. den auf Pfählen errichteten Spitalbau Albert Schweizers in Ogowe in Westafrika als Beweis an [14].

Die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus in Deutschland verlieh diesen Auseinandersetzungen noch einen politischen Hintergrund. H. Reinerth war als Reichsleiter des Amtes Vorgeschichte im Amt Rosenberg ein eifriger Vertreter nationalsozialistischen Gedankengutes. Für die Schweizer bedeutete das Festhalten an Kellers Pfahlbautheorie über jedes wissenschaftliche Anliegen hinaus einen Beweis nationaler Eigenständigkeit und Unabhängigkeit [15].

Anlässlich der Hundertjahrfeier der durch Keller eingeleiteten Pfahlbauforschung rollte E. Vogt das Pfahlbauproblem erneut auf: „Es ist in der Regel keine besonders erfreuliche Aufgabe, scheinbar feststehende Anschauungen als in wesentlichen Teilen revisionsbedürftig aufzuzeigen. Und dies besonders, wenn diese Ansichten im Geschichtsbild eines Volkes fest verankert sind. Hier kommt die rastlos vorwärtsstrebende Wissenschaft in Konflikt mit jenen, die überall definitive Resultate erwarten und die in einer neuen Erkenntnis nur das Falsche der früheren sehen.“ In seiner kritischen Arbeit kommt Vogt zu dem Schluss, dass bisher eindeutig nur ebenerdige Siedlungen nachgewiesen werden konnten [16].

Die rege Bautätigkeit der letzten Jahrzehnte zwang die Schweizer Denkmalpflege, gesetzliche Maßnahmen zum Schutz des archäologischen Erbes zu veranlassen. Bodendenkmäler mussten vor ihrer Beseitigung untersucht werden. Dies zwang aber auch die Archäologie zur Anwendung modernster technischer Hilfsmittel. R. Ruoff entwickelte in Zürich eine Methode der Unterwasserarchäologie. C. Strahm, M. Egloff, P. Suter, A. Furger und andere gruben im Neuenburger- und Bielersee, teils in Form von Trockenlegungen durch „Caissons“, teils unter Wasser und konnten mit neuen Ergebnissen aufwarten. C. Strahm kam zu dem Schluss, dass es doch Pfahlbauten gab, die zeitweilig trocken lagen, bei jahreszeitlich bedingten Seespiegelschwankungen jedoch vom Wasser umspült wurden [17]. In einem Aufsehen erregenden Grabungsbefund konnte R. Perini im Torfmoor von Fiave/Trentino drei Siedlungstypen, eine auf trockenem Boden erbaute Ufersiedlung, eine ins Wasser hinaus erweiterte Inselsiedlung und eine ganz außen im See erstellte echte Pfahlbausiedlung nachweisen [18]. Auch Deutschland meldete sich mit einem Bericht des Stuttgarter Archäologen H. Schlichtherle wieder zu Wort. Schlichtherles Ergebnisse aus der Siedlung „Hörnli I“ am Bodensee decken sich mit den Erkenntnissen Strahms [19].

Die modernen Grabungsbefunde sind mit den festgefahrenen Ansichten des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr in Einklang zu bringen. Sie beweisen eine äußerst differenzierte Bautechnik der jungsteinzeitlichen und frühbronzezeitlichen Besiedler der Feuchtböden und Strandplatten. Die Siedler verstanden es scheinbar ausgezeichnet, ungünstige naturräumliche Gegebenheiten mit technischem Geschick auszugleichen. Die modernen Siedlungsgrabungen zeigen aber auch, dass die anfallenden Probleme nicht allein mit archäologischen Methoden, sondern nur in Zusammenarbeit mit verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen zu lösen sind.

Andreas Freiherr von Baumgartner gebührt der Verdienst, die systematische Pfahlbauforschung in Österreich initiiert zu haben. Als Präsident der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften richtete er am 7. Juli 1864 eine Anfrage an die mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, „ob es die Klasse nicht angezeigt fände, dass auch die österreichischen Seen hinsichtlich des Vorkommens von Pfahlbauten, die jetzt die Aufmerksamkeit der Naturforscher und Archäologen in so hohem Ausmaß erregen, einer Untersuchung unterworfen werden sollten“. Eine auf diesen Antrag hin eingesetzte Kommission beschloss drei Gruppen von Seen zu untersuchen: die Seen von Oberösterreich, jene von Kärnten und Krain und den Gardasee. Gleichzeitig wurde beschlossen, einen Schweizer Fischer, der schon in der Schweiz und in Bayern an Pfahlbauuntersuchungen mitgewirkt hatte, nach Österreich kommen zu lassen. Im März 1865 berichtete Freiherr von Sacken an den Vorsitzenden der Kommission: „… aus dem Gardasee aber kam eine solche Menge von Altertümern zum Vorschein, dass über den Bestand eines Pfahlbaues kaum ein Zweifel bestehen kann.“ Im April 1965 richtete er ein Gutachten an die Akademie der Wissenschaften, dessen Inhalt bis heute seine Gültigkeit bewahrt hat: „Es ist allgemein bekannt, welch große Bedeutung für die Kulturgeschichte die in den Seen der Schweiz und anderen Ländern entdeckten Pfahlbauten haben. Bei dem Umstande, dass sich unsere Kenntnis der Zustände der ältesten Bevölkerung Mitteleuropas fast ausschließlich auf die Überreste welche durch Funde zu Tage gefördert werden, gründet, verdient diese Entdeckung umso größere Beachtung, als die Auffindung der alten Wohnsitze mit ihren zahlreichen Artefakten, Resten der Wohnungen und Nahrungsmittel ein vollständigeres Bild der gesamten Lebensweise, der gewerblichen Tätigkeit, der Handelsverbindungen, kurz der Kulturstufe darstellt als selbst die sonst so lehrreichen Gräberfunde.“

Aufgrund dieses Gutachtens wurden weitere Untersuchungen in Oberösterreich und am Gardasee bewilligt. Zu diesem Zeitpunkt waren in der Schweiz und in Deutschland bereits weit über 200 Pfahlbausiedlungen entdeckt worden. Ein bezeichnendes Licht auf die angewandten Untersuchungsmethoden wirft der Beschluss, die Akademie möge sich an das k. u. k. Kriegsministerium um Erlaubnis zur Benützung einer auf dem Gardasee stehenden Baggermaschine wenden. Der Beschluss kam nicht zur Ausführung, da im Juli 1866 Venetien an Italien abgetreten werden musste.

Bereits im Juli 1863 hatte A. von Morlot, Professor der Geologie, der sich – angeregt von Troyon und Keller – der Archäologie widmete, bei einem Vortrag in Wien die Ansicht geäußert, dass Pfahlbauten notwendig auch in den Ostalpen zu finden sein müssten. Über seine Initiative forderte die K.K. Zentralkommission für die Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale, die Vorgängerinstitution des Bundesdenkmalamtes, 1864 jene „Conservatoren, in deren Bezirken sich Alpenseen befinden“ auf, „nähere Untersuchungen zu pflegen, ob sich nicht in den Seen der österreichischen Alpenländer Spuren ähnlicher Bauten vorfinden oder nachweisen lassen.“

Obwohl eine Suche Morlots nach Pfahlbauten in den Kärntner Seen erfolglos verlaufen war, führte der Kärntner Geschichtsverein 1864 eigene Untersuchungen durch, die trotz hohem Wasserstand von Erfolg begleitet waren und zur Auffindung eines Pfahlbaues im Keutschacher See führten.

Im Sommer 1864 suchte der Wiener Ichthyologe und Geologe R. Kner im Salzkammergut nach Pfahlbauten. Im Niedertrumer, Waller und Hallstätter See blieb er ohne Erfolg, in der Nähe von St. Lorenz stellte er im Mondsee Hunderte von „Pfählen“ fest, die jedoch nachträglich als versunkener Wald erkannt wurden. Im Attersee bezeichnete Kner die Stelle zwischen Teufelsbrücke und Attersee als verdächtig und vermutete, dass die Schlösser Litzlberg und Kammer auf einem Pfahlrost stünden. In Litzlberg glaubte er zwischen den mittelalterlichen Pfählen auch ältere entdeckt zu haben. F. von Simony, Mitglied der 1870 gegründeten Anthropologischen Gesellschaft, bezeichnete diese Gebiete als „hoffnungsreichste Punkte“. J. Ullepitsch fuhr auf einem Schraubendampfer – die Kraftschifffahrt besteht seit 1869 am Attersee – als „selbiger an einen der zahlreichen Pfähle anrannte und etwas umkippte“. Einer Volkssage nach stehen zwischen Kammer und dem Agerausfluss Pfähle „zum Anbinden der Schiffe“ im See. Ullepitsch regte daher eine Untersuchung der seichten Uferzonen an.

Im August 1870 begann Gundaker Graf Wurmbrand mit Untersuchungen bei Seewalchen. Auf Anhieb entdeckte er „unförmliche dicke Scherbenstücke mit ganz grobem Quarzsandgemenge und unter dem Gerölle des Seebodens von ein bis eineinhalb Fuß die Kulturschichte“. Somit war am 25. August 1870 der erste Pfahlbau auf österreichischem Boden entdeckt. Nun ging es Schlag auf Schlag.

Im Traunsee wurden zwei Pfahlbauten entdeckt, kurz darauf im Attersee weitere drei.

Abb 3. Rekonstruktion eines Pfahlbaues am Mondsee. M. Much 1884.

1872 entdeckte der „Altmeister der prähistorischen Forschung in Österreich“, Matthäus Much, einen Pfahlbau beim Ausfluss der Seeache aus dem Mondsee und 1874 den Pfahlbau von Scharfling. Im Fuschlsee glaubte Much einen Packwerkbau entdeckt zu haben. Nach dem Vorbild der Schweizer Pfahlbaurekonstruktionen versuchte sich auch M. Much an der zeichnerischen Rekonstruktion eines Pfahlbaus im Mondsee.

Mitte der achtziger Jahre beginnt eine Phase der Stagnation in der österreichischen Pfahlbauforschung. Bis dahin waren sechs Stationen im Attersee, zwei im Mondsee und zwei im Traunsee bekannt.

Vor und nach dem Ersten Weltkrieg waren es vor allem zwei Fischer, Wang und später auch Wendl, die neue Stationen im Attersee entdeckten und durch Baggerungen gewonnene Funde kommerziell verwerteten. Als Aufkäufer traten Privatsammler auf, besonders der Industrielle M. Schmidt, aber auch das Heimathaus Vöcklabruck und das Naturhistorische Museum in Wien. Schmidt besaß die umfangreichste Sammlung an Pfahlbaufunden. Sie war in Ungarn gelagert und ging in den Wirren des Zweiten Weltkriegs zugrunde.

Noch knapp vor dem Ersten Weltkrieg wurde vom Verein „Deutsche Heimat“ im „Sturmwinkel“, einer kleinen Bucht bei der Ortschaft Kammerl das erste Pfahlbaufreilichtmuseum errichtet. Der Pfahlbau bestand aus fünf Hütten, die auf einem von 329 Piloten getragenen Pfahlrost standen. Die Hütten waren mit dem Ufer durch einen 40 Meter langen Steg verbunden. Nach Kriegsende war der Pfahlbau verfallen, eine Rettung aus finanziellen Gründen nicht möglich. 1922 wurde die Pfahlbaurekonstruktion für Aufnahmen zu dem Film „Sterbende Völker“ niedergebrannt. Auf dasselbe Jahr gehen die Anfänge des bekannten Freilichtmuseums Deutscher Vorzeit in Unteruhldingen am Bodensee zurück.

Im Jahr 1937 wurde in Mondsee ein Aktionskomitee gegründet, um die Pfahlbauforschung „auf wissenschaftlicher Grundlage und mit modernen Mitteln“ vorzunehmen. Ziel des Unternehmens war die Trockenlegung und Ausgrabung eines Pfahlbaues mit Hilfe eines Kastenfangdammes. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges vereitelte jedoch dieses Vorhaben [20].

Methoden und Technik der Pfahlbauforschung

Wie nicht anders zu erwarten, wurden die frühesten Techniken zur Bergung von Funden aus den Pfahlbauten in der Schweiz entwickelt. Bis in die jüngste Zeit wurde die Fundsuche und -bergung von Booten aus durchgeführt. T. Ischer beschrieb die Methode, die bereits E. Müller und F. Schwab 1843 im Bielersee anwandten. Mit einer langen Stange wurde der Seeboden aufgewühlt und – sobald sich der Schlamm gelegt hatte – nach Funden abgesucht. Über den Funden wurde das Boot an einer im Seeboden befestigten Stange verankert, und die Funde wurden mittels einer eigens konstruierten Zange gehoben. Zerbrechliche Gegenstände wurden in einem Schleppnetz an Bord geholt [21]. Später wurde die Zange verbessert und mit einer Feder und Zugdraht versehen. Ergänzt wurde die Arbeit mit der Zange durch eine Baggerschaufel, auch Scharrlöffel genannt, mit der Teile der Kulturschicht in das Boot gehoben und nach Funden abgesucht wurden. Die aus einem rechteckigen Blech mit Löchern zum Abrinnen des Wassers bestehende Schaufel war an drei Rändern aufgebörtelt und über eine Tülle an einer langen Stange befestigt. Sie wurde mit der Spitze voraus ins Wasser geworfen und – sobald sie Grund gefasst hatte – durch den Boden gezogen.

Diese Geräte wurden auch von den österreichischen Pfahlbauforschern mit einigen Änderungen übernommen. M. Much erdachte für seine Untersuchungen im Mond- und Attersee ein Baggerrohr oder „Schlammstecher“ zur Entnahme von Bodenproben. Ein Eisenrohr von 15 cm Durchmesser war am oberen Ende verschlossen und mit einem Ventil versehen. Das Rohr wurde mit geöffnetem Ventil in den Boden gestoßen, schloss man es und zog das Rohr aus dem Boden, blieb die Probe durch das entstehende Vakuum im Rohr.

Auf demselben Prinzip basierend wurden hundert Jahre später die bei den Pfahlbauuntersuchungen des Bundesdenkmalamtes verwendeten Unterwasserbohrgeräte entwickelt. Da die Vakuummethode immer mit einem hohen Verlust an Probenmaterial verbunden war, wurde der Unterteil des Bohrgerätes mit einer selbstschließenden Klappe versehen. Um das Einschlagen zu erleichtern – die elastische Kulturschichte mit einem hohen Anteil an Astwerk wurde oft durch das Rohr in die weiche Seekreide gedrückt und nicht aufgenommen – wurde das Rohrende lanzettförmig ausgebildet. Das Rohr selbst besteht aus zwei ineinandergreifenden Halbschalen. Wenn es in geöffnetem Zustand in den Boden gedrückt wird, schneidet es leicht durch die Kulturschicht. Im Boden werden die Schalen durch einen Hebel geschlossen, die Probe gehoben.

Um den Boden aufzuwühlen, arbeitete der Fischer Wang mit einem „Kraller“ oder er ließ sein Boot um eine Boje schwojen und zog zwei an einer langen Kette befestigte Eisenplatten über den Seegrund.

Diese „Methoden“ zielten ausschließlich auf die Gewinnung von Fundmaterial. Sie wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von namhaften Wissenschaftlern als „Altertumsfischerei“, „Laienpfuscherei“ und „Raubbau mit der Baggerschaufel“ verurteilt [27].

Alle Beobachtungen über die Ausdehnung von Pfahlbaustationen waren bisher von Booten aus gemacht worden. K. Krenn, Leiter der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien versuchte im Herbst 1947 bei sehr niedrigem Wasserstand in der Siedlung Seewalchen/Attersee erstmals, eine genauere Vermessung durchzuführen. Der Seeboden wurde streifenweise abgesucht, herausragende Pfahlköpfe durch in das morsche Holz getriebene Latten markiert und durch zwei Geometer vom Ufer her eingemessen. In drei anstrengenden Arbeitstagen wurden 50 Pfähle markiert, dann mussten die Arbeiten der ungünstigen Witterung wegen abgebrochen werden; doch bereits dieser mit untauglichen Mitteln vorgenommene Versuch einer genaueren Vermessung ergab wesentliche Abweichungen zu früheren Beobachtungen. Zum Vergleich sei hier vorweggenommen, dass bei der Untersuchung der Station Misling II durch Taucher in den Jahren 1973/76 rund 19.000 Pfähle vermessen wurden.

Mit der Erfindung der Aqualunge durch J. Cousteau und die Popularisierung des Tauchsports durch H. Hass begann auch für die Unterwasserarchäologie eine neue Ära. Den „Fischmenschen“ schienen alle Voraussetzungen gegeben, die Methoden der Landarchäologie in den Unterwasserbereich zu übertragen und damit eine optimale Befundung der archäologischen Objekte zu erreichen. In nur zwanzigjähriger Forschungstätigkeit wurden komplizierteste technische Einrichtungen entwickelt, um den Archäologen die Arbeit unter Wasser zu erleichtern. Die Ausrüstung reicht von Messgittern mit auf Schienen montierten Stereokameras über Absaugvorrichtungen und Hebeballons bis zum Unterwassertelefonhäuschen und Miniunterseebooten mit Sonaranlagen, Stroboskoplampen und Fernsehkameras.

Abb 4. Erste Tauchgrabung am 24.8.1854 im Genfer See
(Morges) durch Charles Adolphe Morlot (1820–1867).

Die Geschichte der Unterwasserarchäologie reicht jedoch wesentlich weiter zurück. Im Mai 1854 fand die wahrscheinlich erste Unterwassergrabung der Welt in Morges am Genfer See statt. Begleitet von F. Troyon und F. Forel stieg A. v. Morlot mit einem selbst konstruieren Taucherhelm von einem Boot aus über eine Leiter auf den Seegrund. Er schrieb darüber an Keller [23]:

„Mein Tauchapparat ist vollständig gerathen.
Da unten aber ist´s fürchterlich
und der Mensch begehre nimmer zu schauen
was die Götter bedecken mit Nacht und Grauen.
Jedenfalls war´s ergreifend poetisch inmitten dieser uralten Pfähle im bläulichen Dämmerlicht zu stehen.“

Der Tauchapparat kam nie mehr wieder zum Einsatz.

In den Jahren 1950/51 hielt die „moderne Tauchtechnik“ Einzug in die österreichische Pfahlbauforschung. Ein Amateurtaucher, K. Schäfer aus Wien – ausgerüstet mit Taucherbrille und Gummiflossen –, versuchte zusammen mit K. Willvonseder im Mond- und Attersee Beobachtungen anzustellen. Schlechtes Wetter, niedrige Wassertemperaturen und eine Ausrüstung, die nur einen sehr beschränkten Aufenthalt unter Wasser zuließ, gestalteten das Unternehmen nicht sehr aussichtsreich.

Dennoch gelang es G. Mossler von der Abteilung für Bodendenkmalpflege des Bundesdenkmalamtes im Jahr darauf, mit Unterstützung eben dieses Tauchers, von einem Arbeitsfloß aus die erste Vermessung eines Pfahlbaues im Keutschacher See durchzuführen, die wissenschaftlichen Erfordernissen gerecht wurde [24].

Das Verdienst, erstmals Taucher mit modernen Pressluftgeräten zum Einsatz gebracht zu haben, gebührt W. Kunze, dem Leiter des Mondseer Heimathauses. In den Jahren 1960/63 wurde unter der Patronanz von J. Reitinger umfangreiches Fundmaterial aus der Station See geborgen und eine Umrissvermessung durchgeführt. Diese Tauchuntersuchungen erbrachten erste Hinweise darauf, dass die Pfahlbausiedlungen ursprünglich am trockenen Land errichtet worden waren. Die Untersuchungsmethoden waren noch verhältnismäßig einfach. Die Taucher schaufelten die fundführende Kulturschicht in vorbereitete Kisten, die mit einer Winde auf ein Arbeitsfloß gezogen wurden. Dort wurde das Material gesiebt und nach Funden untersucht [25].

Im Jahr 1969 erreichten die Abt. f. Bodendenkmalpflege des Bundesdenkmalamtes erstmals Nachrichten über die Plünderung der Pfahlbausiedlungen durch Sporttaucher. Die eingeleiteten Erhebungen ergaben zusätzlich eine wesentliche Beeinträchtigung des Bestandes durch technische Eingriffe und die Schifffahrt. Es wurde daher beschlossen, eigene Tauchuntersuchungen durchzuführen um einerseits eine systematische Bestandsaufnahme aller historischen Objekte in den Salzkammergutseen in die Wege zu leiten, andererseits eine detailgerechte Dokumentation gefährdeter Objekte vorzunehmen.

Als die Vermessungsarbeiten 1970 mit einer Gruppe von Sporttauchern begonnen wurden, konnte auf keinerlei Erfahrungen in der Binnengewässerarchäologie zurückgegriffen werden. Die von Meeresarchäologen unter günstigsten Sichtbedingungen erarbeiteten Vermessungsmethoden versagen im trüben Wasser der Salzkammergutseen. So wurden in ständigen Rücksprachen mit den Tauchern eigene Techniken entwickelt und laufend verbessert [26].

Die Pfahlbauuntersuchungen des Bundesdenkmalamtes

Die Bestandsaufnahme