Johann Offenberger: Die "Pfahlbauten" der Salzkammergutseen: Unterschied zwischen den Versionen

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In: „Das Mondseeland – Geschichte und Kultur“; Ausstellungskatalog zur OÖ Landesausstellung 1981 in Schloss Mondsee. S. 295–357. Herausgeber: Kulturabteilung des Amtes der OÖ. Landesregierung
 
In: „Das Mondseeland – Geschichte und Kultur“; Ausstellungskatalog zur OÖ Landesausstellung 1981 in Schloss Mondsee. S. 295–357. Herausgeber: Kulturabteilung des Amtes der OÖ. Landesregierung
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(Transkript aus Ausstellungkatalog mit schriftlicher Genehmigung Amt OÖ LReg vom 26.1.2024) <br />
 
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Anm.: Der Text wurde orthographisch aktualisiert.
 
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==Die Pfahlbauvorstellung des 19. Jahrhunderts==
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Die Untersuchung prähistorischer Siedlungsreste in den Seen des schweizerischen Mittellandes Mitte des 19. Jahrhunderts und ihre Deutung als Wasserpfahlbauten wirkte wie kaum eine andere Entdeckung der Urgeschichtsforschung auf die Phantasie von Forschern und Laien. Detailreiche Rekonstruktionen – Modelle, Gemälde und Zeichnungen – wurden in Fachpublikationen, Zeitungen, Kalendern und Schulbüchern veröffentlicht, trugen diese Vorstellungen in ein breites Publikum und machten sie zum Allgemeingut der Geschichte.
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Der Streit um die Deutung dieser Siedlungen als Wasserpfahlbauten ist nie ganz erloschen. Erst in jüngster Zeit haben neue Forschungsergebnisse die Diskussion wieder in Gang gebracht. Die Auseinandersetzungen wurden zeitweilig nicht hinter verschlossenen Türen, sondern sehr emotional vor einer staunenden Öffentlichkeit abgehandelt. Anstatt wissenschaftlicher Argumente wurden persönliche Anfeindungen in die Diskussion getragen, die in den zwanziger Jahren – am Höhepunkt der Auseinandersetzungen – noch zusätzliche politische und nationale Motivationen erfuhr. Moderne Ausgrabungstechniken und die Beiziehung naturwissenschaftlicher Disziplinen zur Befundung der Grabungen haben dazu beigetragen, das Problem der Seeufer- und Feuchtbodensiedlungen distanzierter zu sehen und mit differenzierteren Methoden anzugehen.
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[[Datei: Murtensee Marxer 1900.jpg|thumb|380px| Abb 1. Pfahlbausiedlung am Murtensee/Fr., A. Marxer um 1900.]]
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Die Pfahlbaudarstellungen müssen vor dem Hintergrund ihrer Zeit betrachtet werden. Die ausgedehnten, dichten Pfahlfelder schienen ein Leben zwischen den Pfählen auszuschließen, sie konnten nur eine Plattform getragen haben. Reste von Holzkonstruktionen und Flechtwerkwänden wurden mit viel Phantasie zu Bauwerken ergänzt. Ethnographische Berichte und das Aussehen zeitgenössischer Boots- und Fischerhütten trugen zur Formung des Pfahlbaubildes bei. Noch unter dem Einfluss romantisierender Strömungen erlebten naturwissenschaftliche und archäologische Forschung auf dem Nährboden vaterländischer Begeisterung eine Blütezeit. In euphorischer Aufbruchstimmung war man der Meinung, das Pfahlbauproblem im Wesentlichen gelöst zu haben.
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Der wissenschaftliche Fortschritt hat diese Vorstellungen überholt. Gemälde und Schulwandtafeln fristen meist ein verborgenes Dasein in Depots und Kellern. Unsere Zeit sollte sich auf ihren zeit- und forschungsgeschichtlichen Wert besinnen.
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Zu Unrecht gilt meist der schweizerische Altertumsforscher Ferdinand Keller als Entdecker der Pfahlbauten. Erste Pfahlbaubeobachtungen stammen bereits aus dem 16. Jahrhundert. Im Jahr 1548 meldete Stumpf in seiner Schweizer Chronik, dass bei Arbon und Rohrschach im Bodensee „starke und breyte pfalment und maalzeichen starker gebeuwen“ auf dem Seegrund zu erkennen seien [1]. Vadian, Bürgermeister von St. Gallen und Rektor der Wiener Universität, deutete diese Pfahlfelder im „glaslauteren und stillen Wasser“ richtig als Überreste alter Siedlungen [2]. Im Jahr 1829 wurden erstmals an den Rändern des Zürcher Sees Pfahlfelder beobachtet [3], und1871/72 traten nach Absenkung des Seespiegels im Bielersee die Pfähle der Siedlungen Mörigen zu Tage [4]. Jedoch bereits 1843 war A. Jahn von Arbeitern auf das Pfahlwerk von Mörigen aufmerksam gemacht worden. Jahn beschrieb die Fundstelle als „uraltes Pfahlwerk von der Substruction einer bedeutenden Ansiedlung aus einer Zeit, wo der Wasserspiegel des Sees noch nicht die jetzige normale Höhe erreicht hatte“. Auch der Antiquar E. F. Müller erwähnt 1848 in seinem Briefwechsel mit F. Keller Funde aus den Pfahlwerken von Mörigen und Nidau-Steinberg. 1951 schreibt er an F. Keller über die Station Mörigen: „Diese bedeutenden Gebäulichkeiten müssen seiner Zeit durch ein bedeutendes Naturereignis, wovon die Geschichte nichts erwähnt, sich versenkt haben.“ Ing. W. R. Kutter hält in einer Schrift über „Die Juragewässerkorrektion des Jahres 1853“ fest, dass die Versumpfung des Seelandes erst in spätrömischer Zeit angefangen hätte und dass vorher der Wasserspiegel der Juraseen bedeutend tiefer gewesen sei [5]. Diese Untersuchungen führten in der Folge nicht nur zu Diskussionen um das Erstlingsrecht an der Entdeckung der Pfahlbauten, A. Jahn und E. G. Müller äußerten bereits sehr bestimmte Ansichten über Veränderungen der Niveaustände der Seen.
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Im Jänner 1854 berichtet der Lehrer Äppli aus Obermeilen an F. Keller in Zürich: „Infolge der außerordentlichen Kälte während der Wintermonate von 1853 auf 1854 stellte sich im Alpengebiet die ungewöhnliche Erscheinung ein, dass sich die Flüsse ins Innere ihrer Bahn zurückzogen und die Spiegel der Seen bedeutend sanken, so dass an einem Orte ein breiter Strand das Schwinden des Wassers verkündete, am anderen eine nie gesehene Insel auftauchte …, dass man in dem vom Wasser verlassenen Seebette Überbleibsel menschlicher Tätigkeit aufgehoben habe, die geeignet seien, über den frühesten Zustand der Bewohner unserer Gegend unerwartetes Licht zu verbreiten.“
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Im September des Jahres 1854 erschien aus der Feder F. Kellers der 1. Pfahlbaubericht, in dem er seine Interpretation der Siedlungsreste als Wasserpfahlbauten vortrug:
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„… waren die Pfähle von Anfang an in den Seegrund eingetrieben und so lang, dass ihre oberen Spitzen bei jedem Stande des Wassers ein Paar Fuß aus demselben hervortraten! Sie bildeten in dichtem Wasser stehend und mit waagrecht liegenden Balken und Brettern bedeckt, ein festes Gerüste, einen Unterbau für die darauf zu erbauenden Wohnungen …“ Keller schließt mit den Sätzen: „Auf alle Beobachtungen uns stützend stehen wir nicht an, die Vermutung auszusprechen, dass die Erbauer der Seeansiedlungen ein Bruchtheil der keltohelvetischen Bevölkerung unseres Landes gewesen seien, glauben aber, dass die PFAHLBAUTEN, jedenfalls am Zürchersee, der vorhistorischen Zeit angehören …“ [6]. Die Priorität gebührt Keller nicht an der Entdeckung der Pfahlbauten – er selbst hat diese nie in Anspruch genommen –, wohl aber für die Interpretation dieser Siedlungen als Wassereinbauten.
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Es lag in den Forschungsmethoden der damaligen Zeit begründet, dass zwar das Fundmaterial bereits relativchronologisch der Stein-, Bronze- oder Eisenzeit zugeordnet wurde, jedoch über die dazwischenliegenden Zeiträume keine genauen Vorstellungen bestanden. Die archäologischen Untersuchungen waren in erster Linie auf die Funde ausgerichtet, die Mehrphasigkeit der Siedlungen entging den Beobachtern. Die Unmenge an Pfählen konnte nach ihrer Vorstellung nur eine Plattform getragen haben. Detailfragen, wie diese Plattformen gebaut und die Hütten auf ihnen befestigt waren, ging man vorläufig nicht nach.
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Keller kannte aus lokalen Überlieferungen die ins Wasser gebauten Fischerhütten in der Limmat und wahrscheinlich die Schilderung des Pfahlbaues im Otsego-See durch J. F. Cooper im „Wildtöter“. Seine Rekonstruktionszeichnung eines Pfahlbaudorfes lehnt sich jedoch deutlich an die Darstellung einer Siedlung an der Doreh-Bai in West-Neuguinea an, die in einem Reisebericht des französischen Marineoffiziers Dumont d´Urville im Jahr 1827 erschienen war. Keller führt Bericht und Abbildung ausdrücklich als Beweis für die Existenz von Wasserpfahlbauten an [7].
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[[Datei: Keller 1854.jpeg|thumb|330px| Abb 2. Erste Pfahlbaurekonstruktion F. Keller´s, 1854.]]
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Noch zu Lebzeiten Kellers setzte nicht nur ein lebhafter Streit um die Namensgebung ein, indem sich Keller letztlich durchsetzte, es wurde auch seine Interpretation der Siedlungen als Wasserpfahlbauten nicht widerspruchslos hingenommen. Der Neuenburger Professor E. Desor verstieg sich sogar zu der Behauptung, die bronzezeitlichen Pfahlbauten seien phönizische Warenlager und Magazine gewesen [8]. Keller unterschied in seinem 3. Pfahlbaubericht bereits Moor- und Pfahlbauten. Er trennte die Moorsiedlungen als Packwerkbauten von seinen pfahlgetragenen Wasserbauten ab und beschrieb deren Unterbau als „… eine Masse von parallel und kreuzweise aufeinandergelegten Knitteln, deren unterste Schicht auf dem Seeboden ruht.“ [9]
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F. Troyon wie auch spätere Forscher zogen antike Reisebeschreibungen und Darstellungen als Beweis für die Existenz von Pfahlbauten heran. Die klassische Schriftquelle ist Herodots Schilderung der Pfahlbauten der Pajonen im Prasiassee in Thrakien: „Auf Pfählen, die in großer Zahl in den Seegrund eingerammt waren, ruhte eine Plattform, die die einzelnen Häuser der Siedlung trug. Bei jeder Gründung eines neuen Haushaltes wurde die Plattform vergrößert. Sie ragte über den Seespiegel hinaus und enthielt Luken, durch die man Körbe ins Wasser hinabließ, um sie mit Fischen gefüllt wieder heraufzuziehen. Damit die Kinder nicht durch die Luken ins Wasser fallen konnten, band man sie wie die Schafe an den Füßen fest.“ [10]
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1855 willigte F. Schwab ein, unter der Leitung von F. Keller eine Forschungsreise an den Prasiassee zu unternehmen, um jene „klassische Stelle“ zu erforschen, das Unternehmen kam jedoch nicht zustande. 1862 unternahm A. Morlot einen neuen Anlauf, ein französischer Gelehrter kam ihm aber zuvor, untersuchte noch im selben Jahr das Ufergelände des Sees und fand die Überreste der von Herodot beschriebenen Pfahlbauten [11].
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Zwanzig Jahre später, 1875, ging die Forschung in Deutschland neue Wege. Grabungen in den Moorsiedlungen des Federseegebietes durch Frank und Paulus ergaben erste Hausgrundrisse. Weitere Ausgrabungen in den Mooren der Schweiz und Süddeutschlands zeigten den Forschern, dass die Fußböden der Häuser wiederholt erneuert wurden. In manchen Siedlungen wurden die Fußböden bei Erneuerung nicht entfernt, sodass die Ausgräber zeitweilig an schwimmende Flöße dachten. Diese frühen, schlecht befundeten Grabungen führten in der Literatur zum festen Begriff des „Packwerkbaues“.
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In den Jahren 1919/20 gruben die Urgeschichtsforscher R. R. Schmidt und H. Reinerth in den Siedlungen des Federseemoores. Im Gegensatz zum Pfahlbaubegriff führten sie die Bezeichnung „Moorbau“ in die Literatur ein [12].
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Anfang der zwanziger Jahre griff Reinerth die schweizerische Pfahlbautheorie heftig an und stellte die Behauptung auf, alle Pfahlbauten der Schweiz wären auf trockenem Land erbaut worden. Die Pfahlbauforscher spalteten sich in zwei Lager. Die Schweizer formierten sich unter Th. Ischer, der mit ethnographischem Beweismaterial und persönlichen Beobachtungen in den Juraseen gegen Reinerth auftrat. Der Genfer Naturforscher Prof. Rytz, der Paläobotaniker Prof. Tschumi und der Malakologe Dr. Favre bewiesen „mit absoluter Sicherheit“, dass die Seepfahlbauten im Wasser gestanden hatten [13].
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Dr. D. Violier, der zunächst eine Annäherung an Reinerth gesucht hatte, stellte sich auf die Seite der Schweizer Forscher: „Unsere Pfahlbaustationen wurden tatsächlich ins Wasser hineingebaut. Das Vorhandensein von Brücken und Wellenbrechern erklärt sich damit von selbst.“
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Die Diskussion artete in eine heftige Pressekampagne aus. Deutsche Zeitungen brachten als sensationelle Überschrift: „Die Pfahlbauten trockengelegt“, während Th. Ischer 1937/38 in Lüscherz zwei „Pfahlbaubrücken“ ausgrub und damit glaubte, die Pfahlbautheorie glänzend bewiesen zu haben. Der schwäbische Oberförster Staudacher behauptete, die Schweizer Pfahlbauten hätten wie die süddeutschen Moorbauten auf ebener Erde gelegen. Der Württemberger O. Paret suchte, wie Ischer formulierte, „mit der Selbstsicherheit eines Sektenpredigers in einem unverfrorenen Pamphlet die schweizerische Pfahlbauforschung unter dem höhnischen Titel: `Die Pfahlbauten – ein Nachruf´ lächerlich zu machen.“ O. Paret erklärte, noch niemand habe versucht, seine technischen Einwände gegen die Pfahlbauten zu widerlegen und Ischer antwortete ihm: „Der Pfahlbau kann nicht aus dem engen Horizont schwäbischer Moorsiedlungen, sondern nur von globalen Aspekten aus beurteilt werden“ und führte u. a. den auf Pfählen errichteten Spitalbau Albert Schweizers in Ogowe in Westafrika als Beweis an [14].
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Die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus in Deutschland verlieh diesen Auseinandersetzungen noch einen politischen Hintergrund. H. Reinerth war als Reichsleiter des Amtes Vorgeschichte im Amt Rosenberg ein eifriger Vertreter nationalsozialistischen Gedankengutes. Für die Schweizer bedeutete das Festhalten an Kellers Pfahlbautheorie über jedes wissenschaftliche Anliegen hinaus einen Beweis nationaler Eigenständigkeit und Unabhängigkeit [15].
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Anlässlich der Hundertjahrfeier der durch Keller eingeleiteten Pfahlbauforschung rollte E. Vogt das Pfahlbauproblem erneut auf: „Es ist in der Regel keine besonders erfreuliche Aufgabe, scheinbar feststehende Anschauungen als in wesentlichen Teilen revisionsbedürftig aufzuzeigen. Und dies besonders, wenn diese Ansichten im Geschichtsbild eines Volkes fest verankert sind. Hier kommt die rastlos vorwärtsstrebende Wissenschaft in Konflikt mit jenen, die überall definitive Resultate erwarten und die in einer neuen Erkenntnis nur das Falsche der früheren sehen.“ In seiner kritischen Arbeit kommt Vogt zu dem Schluss, dass bisher eindeutig nur ebenerdige Siedlungen nachgewiesen werden konnten [16].
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Die rege Bautätigkeit der letzten Jahrzehnte zwang die Schweizer Denkmalpflege, gesetzliche Maßnahmen zum Schutz des archäologischen Erbes zu veranlassen. Bodendenkmäler mussten vor ihrer Beseitigung untersucht werden. Dies zwang aber auch die Archäologie zur Anwendung modernster technischer Hilfsmittel. R. Ruoff entwickelte in Zürich eine Methode der Unterwasserarchäologie. C. Strahm, M. Egloff, P. Suter, A. Furger und andere gruben im Neuenburger- und Bielersee, teils in Form von Trockenlegungen durch „Caissons“, teils unter Wasser und konnten mit neuen Ergebnissen aufwarten. C. Strahm kam zu dem Schluss, dass es doch Pfahlbauten gab, die zeitweilig trocken lagen, bei jahreszeitlich bedingten Seespiegelschwankungen jedoch vom Wasser umspült wurden [17]. In einem Aufsehen erregenden Grabungsbefund konnte R. Perini im Torfmoor von Fiave/Trentino drei Siedlungstypen, eine auf trockenem Boden erbaute Ufersiedlung, eine ins Wasser hinaus erweiterte Inselsiedlung und eine ganz außen im See erstellte echte Pfahlbausiedlung nachweisen [18]. Auch Deutschland meldete sich mit einem Bericht des Stuttgarter Archäologen H. Schlichtherle wieder zu Wort. Schlichtherles Ergebnisse aus der Siedlung „Hörnli I“ am Bodensee decken sich mit den Erkenntnissen Strahms [19].
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Die modernen Grabungsbefunde sind mit den festgefahrenen Ansichten des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr in Einklang zu bringen. Sie beweisen eine äußerst differenzierte Bautechnik der jungsteinzeitlichen und frühbronzezeitlichen Besiedler der Feuchtböden und Strandplatten. Die Siedler verstanden es scheinbar ausgezeichnet, ungünstige naturräumliche Gegebenheiten mit technischem Geschick auszugleichen. Die modernen Siedlungsgrabungen zeigen aber auch, dass die anfallenden Probleme nicht allein mit archäologischen Methoden, sondern nur in Zusammenarbeit mit verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen zu lösen sind.
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Andreas Freiherr von Baumgartner gebührt der Verdienst, die systematische Pfahlbauforschung in Österreich initiiert zu haben. Als Präsident der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften richtete er am 7. Juli 1864 eine Anfrage an die mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, „ob es die Klasse nicht angezeigt fände, dass auch die österreichischen Seen hinsichtlich des Vorkommens von Pfahlbauten, die jetzt die Aufmerksamkeit der Naturforscher und Archäologen in so hohem Ausmaß erregen, einer Untersuchung unterworfen werden sollten“. Eine auf diesen Antrag hin eingesetzte Kommission beschloss drei Gruppen von Seen zu untersuchen: die Seen von Oberösterreich, jene von Kärnten und Krain und den Gardasee. Gleichzeitig wurde beschlossen, einen Schweizer Fischer, der schon in der Schweiz und in Bayern an Pfahlbauuntersuchungen mitgewirkt hatte, nach Österreich kommen zu lassen. Im März 1865 berichtete Freiherr von Sacken an den Vorsitzenden der Kommission: „… aus dem Gardasee aber kam eine solche Menge von Altertümern zum Vorschein, dass über den Bestand eines Pfahlbaues kaum ein Zweifel bestehen kann.“ Im April 1965 richtete er ein Gutachten an die Akademie der Wissenschaften, dessen Inhalt bis heute seine Gültigkeit bewahrt hat: „Es ist allgemein bekannt, welch große Bedeutung für die Kulturgeschichte die in den Seen der Schweiz und anderen Ländern entdeckten Pfahlbauten haben. Bei dem Umstande, dass sich unsere Kenntnis der Zustände der ältesten Bevölkerung Mitteleuropas fast ausschließlich auf die Überreste welche durch Funde zu Tage gefördert werden, gründet, verdient diese Entdeckung umso größere Beachtung, als die Auffindung der alten Wohnsitze mit ihren zahlreichen Artefakten, Resten der Wohnungen und Nahrungsmittel ein vollständigeres Bild der gesamten Lebensweise, der gewerblichen Tätigkeit, der Handelsverbindungen, kurz der Kulturstufe darstellt als selbst die sonst so lehrreichen Gräberfunde.“
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Aufgrund dieses Gutachtens wurden weitere Untersuchungen in Oberösterreich und am Gardasee bewilligt. Zu diesem Zeitpunkt waren in der Schweiz und in Deutschland bereits weit über 200 Pfahlbausiedlungen entdeckt worden. Ein bezeichnendes Licht auf die angewandten Untersuchungsmethoden wirft der Beschluss, die Akademie möge sich an das k. u. k. Kriegsministerium um Erlaubnis zur Benützung einer auf dem Gardasee stehenden Baggermaschine wenden. Der Beschluss kam nicht zur Ausführung, da im Juli 1866 Venetien an Italien abgetreten werden musste.
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Bereits im Juli 1863 hatte A. von Morlot, Professor der Geologie, der sich – angeregt von Troyon und Keller – der Archäologie widmete, bei einem Vortrag in Wien die Ansicht geäußert, dass Pfahlbauten notwendig auch in den Ostalpen zu finden sein müssten. Über seine Initiative forderte die K.K. Zentralkommission für die Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale, die Vorgängerinstitution des Bundesdenkmalamtes, 1864 jene „Conservatoren, in deren Bezirken sich Alpenseen befinden“ auf, „nähere Untersuchungen zu pflegen, ob sich nicht in den Seen der österreichischen Alpenländer Spuren ähnlicher Bauten vorfinden oder nachweisen lassen.“
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Obwohl eine Suche Morlots nach Pfahlbauten in den Kärntner Seen erfolglos verlaufen war, führte der Kärntner Geschichtsverein 1864 eigene Untersuchungen durch, die trotz hohem Wasserstand von Erfolg begleitet waren und zur Auffindung eines Pfahlbaues im Keutschacher See führten.
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Im Sommer 1864 suchte der Wiener Ichthyologe und Geologe R. Kner im Salzkammergut nach Pfahlbauten. Im Niedertrumer, Waller und Hallstätter See blieb er ohne Erfolg, in der Nähe von St. Lorenz stellte er im Mondsee Hunderte von „Pfählen“ fest, die jedoch nachträglich als versunkener Wald erkannt wurden. Im Attersee bezeichnete Kner die Stelle zwischen Teufelsbrücke und Attersee als verdächtig und vermutete, dass die Schlösser Litzlberg und Kammer auf einem Pfahlrost stünden. In Litzlberg glaubte er zwischen den mittelalterlichen Pfählen auch ältere entdeckt zu haben. F. von Simony, Mitglied der 1870 gegründeten Anthropologischen Gesellschaft, bezeichnete diese Gebiete als „hoffnungsreichste Punkte“. J. Ullepitsch fuhr auf einem Schraubendampfer – die Kraftschifffahrt besteht seit 1869 am Attersee – als „selbiger an einen der zahlreichen Pfähle anrannte und etwas umkippte“. Einer Volkssage nach stehen zwischen Kammer und dem Agerausfluss Pfähle „zum Anbinden der Schiffe“ im See. Ullepitsch regte daher eine Untersuchung der seichten Uferzonen an.
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Im August 1870 begann Gundaker Graf Wurmbrand mit Untersuchungen bei Seewalchen. Auf Anhieb entdeckte er „unförmliche dicke Scherbenstücke mit ganz grobem Quarzsandgemenge und unter dem Gerölle des Seebodens von ein bis eineinhalb Fuß die Kulturschichte“. Somit war am 25. August 1870 der erste Pfahlbau auf österreichischem Boden entdeckt. Nun ging es Schlag auf Schlag.
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Im Traunsee wurden zwei Pfahlbauten entdeckt, kurz darauf im Attersee weitere drei.
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[[Datei: Much 1884.jpeg|thumb|420px| Abb 3. Rekonstruktion eines Pfahlbaues am Mondsee. M. Much 1884.]]
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1872 entdeckte der „Altmeister der prähistorischen Forschung in Österreich“, Matthäus Much, einen Pfahlbau beim Ausfluss der Seeache aus dem Mondsee und 1874 den Pfahlbau von Scharfling. Im Fuschlsee glaubte Much einen Packwerkbau entdeckt zu haben. Nach dem Vorbild der Schweizer Pfahlbaurekonstruktionen versuchte sich auch M. Much an der zeichnerischen Rekonstruktion eines Pfahlbaus im Mondsee.
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Mitte der achtziger Jahre beginnt eine Phase der Stagnation in der österreichischen Pfahlbauforschung. Bis dahin waren sechs Stationen im Attersee, zwei im Mondsee und zwei im Traunsee bekannt.
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Vor und nach dem Ersten Weltkrieg waren es vor allem zwei Fischer, Wang und später auch Wendl, die neue Stationen im Attersee entdeckten und durch Baggerungen gewonnene Funde kommerziell verwerteten. Als Aufkäufer traten Privatsammler auf, besonders der Industrielle M. Schmidt, aber auch das Heimathaus Vöcklabruck und das Naturhistorische Museum in Wien. Schmidt besaß die umfangreichste Sammlung an Pfahlbaufunden. Sie war in Ungarn gelagert und ging in den Wirren des Zweiten Weltkriegs zugrunde.
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Noch knapp vor dem Ersten Weltkrieg wurde vom Verein „Deutsche Heimat“ im „Sturmwinkel“, einer kleinen Bucht bei der Ortschaft Kammerl das erste Pfahlbaufreilichtmuseum errichtet. Der Pfahlbau bestand aus fünf Hütten, die auf einem von 329 Piloten getragenen Pfahlrost standen. Die Hütten waren mit dem Ufer durch einen 40 Meter langen Steg verbunden. Nach Kriegsende war der Pfahlbau verfallen, eine Rettung aus finanziellen Gründen nicht möglich. 1922 wurde die Pfahlbaurekonstruktion für Aufnahmen zu dem Film „Sterbende Völker“ niedergebrannt. Auf dasselbe Jahr gehen die Anfänge des bekannten Freilichtmuseums Deutscher Vorzeit in Unteruhldingen am Bodensee zurück.
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Im Jahr 1937 wurde in Mondsee ein Aktionskomitee gegründet, um die Pfahlbauforschung „auf wissenschaftlicher Grundlage und mit modernen Mitteln“ vorzunehmen. Ziel des Unternehmens war die Trockenlegung und Ausgrabung eines Pfahlbaues mit Hilfe eines Kastenfangdammes. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges vereitelte jedoch dieses Vorhaben [20].
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==Methoden und Technik der Pfahlbauforschung==
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Wie nicht anders zu erwarten, wurden die frühesten Techniken zur Bergung von Funden aus den Pfahlbauten in der Schweiz entwickelt. Bis in die jüngste Zeit wurde die Fundsuche und -bergung von Booten aus durchgeführt. T. Ischer beschrieb die Methode, die bereits E. Müller und F. Schwab 1843 im Bielersee anwandten. Mit einer langen Stange wurde der Seeboden aufgewühlt und – sobald sich der Schlamm gelegt hatte – nach Funden abgesucht. Über den Funden wurde das Boot an einer im Seeboden befestigten Stange verankert, und die Funde wurden mittels einer eigens konstruierten Zange gehoben. Zerbrechliche Gegenstände wurden in einem Schleppnetz an Bord geholt [21]. Später wurde die Zange verbessert und mit einer Feder und Zugdraht versehen. Ergänzt wurde die Arbeit mit der Zange durch eine Baggerschaufel, auch Scharrlöffel genannt, mit der Teile der Kulturschicht in das Boot gehoben und nach Funden abgesucht wurden. Die aus einem rechteckigen Blech mit Löchern zum Abrinnen des Wassers bestehende Schaufel war an drei Rändern aufgebörtelt und über eine Tülle an einer langen Stange befestigt. Sie wurde mit der Spitze voraus ins Wasser geworfen und – sobald sie Grund gefasst hatte – durch den Boden gezogen.
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Diese Geräte wurden auch von den österreichischen Pfahlbauforschern mit einigen Änderungen übernommen. M. Much erdachte für seine Untersuchungen im Mond- und Attersee ein Baggerrohr oder „Schlammstecher“ zur Entnahme von Bodenproben. Ein Eisenrohr von 15 cm Durchmesser war am oberen Ende verschlossen und mit einem Ventil versehen. Das Rohr wurde mit geöffnetem Ventil in den Boden gestoßen, schloss man es und zog das Rohr aus dem Boden, blieb die Probe durch das entstehende Vakuum im Rohr.
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Auf demselben Prinzip basierend wurden hundert Jahre später die bei den Pfahlbauuntersuchungen des Bundesdenkmalamtes verwendeten Unterwasserbohrgeräte entwickelt. Da die Vakuummethode immer mit einem hohen Verlust an Probenmaterial verbunden war, wurde der Unterteil des Bohrgerätes mit einer selbstschließenden Klappe versehen. Um das Einschlagen zu erleichtern – die elastische Kulturschichte mit einem hohen Anteil an Astwerk wurde oft durch das Rohr in die weiche Seekreide gedrückt und nicht aufgenommen – wurde das Rohrende lanzettförmig ausgebildet. Das Rohr selbst besteht aus zwei ineinandergreifenden Halbschalen. Wenn es in geöffnetem Zustand in den Boden gedrückt wird, schneidet es leicht durch die Kulturschicht. Im Boden werden die Schalen durch einen Hebel geschlossen, die Probe gehoben.
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Um den Boden aufzuwühlen, arbeitete der Fischer Wang mit einem „Kraller“ oder er ließ sein Boot um eine Boje schwojen und zog zwei an einer langen Kette befestigte Eisenplatten über den Seegrund.
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Diese „Methoden“ zielten ausschließlich auf die Gewinnung von Fundmaterial. Sie wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von namhaften Wissenschaftlern als „Altertumsfischerei“, „Laienpfuscherei“ und „Raubbau mit der Baggerschaufel“ verurteilt [27].
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Alle Beobachtungen über die Ausdehnung von Pfahlbaustationen waren bisher von Booten aus gemacht worden. K. Krenn, Leiter der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien versuchte im Herbst 1947 bei sehr niedrigem Wasserstand in der Siedlung Seewalchen/Attersee erstmals, eine genauere Vermessung durchzuführen. Der Seeboden wurde streifenweise abgesucht, herausragende Pfahlköpfe durch in das morsche Holz getriebene Latten markiert und durch zwei Geometer vom Ufer her eingemessen. In drei anstrengenden Arbeitstagen wurden 50 Pfähle markiert, dann mussten die Arbeiten der ungünstigen Witterung wegen abgebrochen werden; doch bereits dieser mit untauglichen Mitteln vorgenommene Versuch einer genaueren Vermessung ergab wesentliche Abweichungen zu früheren Beobachtungen. Zum Vergleich sei hier vorweggenommen, dass bei der Untersuchung der Station Misling II durch Taucher in den Jahren 1973/76 rund 19.000 Pfähle vermessen wurden.
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Mit der Erfindung der Aqualunge durch J. Cousteau und die Popularisierung des Tauchsports durch H. Hass begann auch für die Unterwasserarchäologie eine neue Ära. Den „Fischmenschen“ schienen alle Voraussetzungen gegeben, die Methoden der Landarchäologie in den Unterwasserbereich zu übertragen und damit eine optimale Befundung der archäologischen Objekte zu erreichen. In nur zwanzigjähriger Forschungstätigkeit wurden komplizierteste technische Einrichtungen entwickelt, um den Archäologen die Arbeit unter Wasser zu erleichtern. Die Ausrüstung reicht von Messgittern mit auf Schienen montierten Stereokameras über Absaugvorrichtungen und Hebeballons bis zum Unterwassertelefonhäuschen und Miniunterseebooten mit Sonaranlagen, Stroboskoplampen und Fernsehkameras.
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[[Datei: Morlot 1854.jpg|thumb|340px| Abb 4. Erste Tauchgrabung am 24.8.1854 im Genfer See <br /> (Morges) durch Charles Adolphe Morlot (1820–1867).]]
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Die Geschichte der Unterwasserarchäologie reicht jedoch wesentlich weiter zurück. Im Mai 1854 fand die wahrscheinlich erste Unterwassergrabung der Welt in Morges am Genfer See statt. Begleitet von F. Troyon und F. Forel stieg A. v. Morlot mit einem selbst konstruieren Taucherhelm von einem Boot aus über eine Leiter auf den Seegrund. Er schrieb darüber an Keller [23]:
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''„Mein Tauchapparat ist vollständig gerathen. <br />
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Da unten aber ist´s fürchterlich <br />
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und der Mensch begehre nimmer zu schauen <br />
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was die Götter bedecken mit Nacht und Grauen. <br />
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Jedenfalls war´s ergreifend poetisch inmitten dieser uralten Pfähle im bläulichen Dämmerlicht zu stehen.“ ''
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Der Tauchapparat kam nie mehr wieder zum Einsatz.
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In den Jahren 1950/51 hielt die „moderne Tauchtechnik“ Einzug in die österreichische Pfahlbauforschung. Ein Amateurtaucher, K. Schäfer aus Wien – ausgerüstet mit Taucherbrille und Gummiflossen –, versuchte zusammen mit K. Willvonseder im Mond- und Attersee Beobachtungen anzustellen. Schlechtes Wetter, niedrige Wassertemperaturen und eine Ausrüstung, die nur einen sehr beschränkten Aufenthalt unter Wasser zuließ, gestalteten das Unternehmen nicht sehr aussichtsreich.
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Dennoch gelang es G. Mossler von der Abteilung für Bodendenkmalpflege des Bundesdenkmalamtes im Jahr darauf, mit Unterstützung eben dieses Tauchers, von einem Arbeitsfloß aus die erste Vermessung eines Pfahlbaues im Keutschacher See durchzuführen, die wissenschaftlichen Erfordernissen gerecht wurde [24].
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Das Verdienst, erstmals Taucher mit modernen Pressluftgeräten zum Einsatz gebracht zu haben, gebührt W. Kunze, dem Leiter des Mondseer Heimathauses. In den Jahren 1960/63 wurde unter der Patronanz von J. Reitinger umfangreiches Fundmaterial aus der Station See geborgen und eine Umrissvermessung durchgeführt. Diese Tauchuntersuchungen erbrachten erste Hinweise darauf, dass die Pfahlbausiedlungen ursprünglich am trockenen Land errichtet worden waren. Die Untersuchungsmethoden waren noch verhältnismäßig einfach. Die Taucher schaufelten die fundführende Kulturschicht in vorbereitete Kisten, die mit einer Winde auf ein Arbeitsfloß gezogen wurden. Dort wurde das Material gesiebt und nach Funden untersucht [25].
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Im Jahr 1969 erreichten die Abt. f. Bodendenkmalpflege des Bundesdenkmalamtes erstmals Nachrichten über die Plünderung der Pfahlbausiedlungen durch Sporttaucher. Die eingeleiteten Erhebungen ergaben zusätzlich eine wesentliche Beeinträchtigung des Bestandes durch technische Eingriffe und die Schifffahrt. Es wurde daher beschlossen, eigene Tauchuntersuchungen durchzuführen um einerseits eine systematische Bestandsaufnahme aller historischen Objekte in den Salzkammergutseen in die Wege zu leiten, andererseits eine detailgerechte Dokumentation gefährdeter Objekte vorzunehmen.
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Als die Vermessungsarbeiten 1970 mit einer Gruppe von Sporttauchern begonnen wurden, konnte auf keinerlei Erfahrungen in der Binnengewässerarchäologie zurückgegriffen werden. Die von Meeresarchäologen unter günstigsten Sichtbedingungen erarbeiteten Vermessungsmethoden versagen im trüben Wasser der Salzkammergutseen. So wurden in ständigen Rücksprachen mit den Tauchern eigene Techniken entwickelt und laufend verbessert [26].
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==Die Pfahlbauuntersuchungen des Bundesdenkmalamtes==
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===Die Bestandsaufnahme===
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Die Bestandsaufnahme aller historischen Objekte im Unterwasserbereich der Salzkammergutseen ist die derzeit vordringlichste Aufgabe der Bundesdenkmalpflege. Über Jahrtausende hinweg bis in jüngste Zeit wurden die Seen als Mülldeponien verwendet. Dieses ursprünglich als wertlos weggeworfene Material, aber auch die verschiedenen Wassereinbauten stellen eine Fundgrube nicht nur für Prähistoriker, sondern auch für Historiker, für Realien- und Volkskunde dar. Aus diesem Grund können und dürfen denkmalpflegerische Maßnahmen in den Seen nicht auf die prähistorischen Pfahlbauten beschränkt bleiben. Vor allem dann nicht, wenn bereits von privater Seite Bestrebungen unternommen werden, das historische Fundinventar kommerziell auszuwerten [27].
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Nach organisatorischen Schwierigkeiten in den ersten Jahren wird die Bestandsaufnahme seit vier Jahren von einem oberösterreichischen Tauchklub, dem „UTC Wels“, durchgeführt [28]. Die konsequente und systematische Absuche des Seegrundes bis 10 m Tiefe führte bereits zu erstaunlichen Erfolgen.
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Die Absuche gestaltet sich durch die schlechten Sichtverhältnisse in den oberösterreichischen Seen äußerst schwierig. Im Mond- und Hallstätter See beträgt die Sichtweite im Sommer in 3 bis 5 m Tiefe 1 bis 1 ½ m, im Attersee unter günstigen Bedingungen bis zu 2 m. In allen Seen ist der Boden mit einer rezenten Schlammschicht bedeckt, die kaum eine Unterscheidung zwischen Pfählen und Steinen zulässt. Genauigkeit und Erfahrung sind unter diesen Umständen ausschlaggebend für den Erfolg.
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Entsprechend der Topographie des Seebodens kommen verschiedene Methoden der Absuche zur Anwendung. Weit in den See hinausreichende flache Uferplatten werden mit Hilfe eines UW-Kompasses abgesucht. Eine Gruppe von Tauchern sucht das Gebiet Streifen für Streifen mit jeweils geänderten Kompassmarschzahlen ab. Stärker fallende Uferpartien werden entlang bestimmter Tiefenschichtlinien, die mit dem Tiefenmesser kontrolliert werden, abgesucht. Bei sehr schlechten Sichtbedingungen sind die Taucher durch ein Seil miteinander verbunden, die beiden äußersten Taucher kontrollieren Richtung und Tiefe.
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Als erster See wurde der Mondsee vollständig abgesucht. Neben dem bekannten Pfahlbau See am Ausfluss des Mondsees wurde ein bisher unbekannter in der Bucht von Mooswinkel aufgefunden und der Pfahlbau von Scharfling „wiederentdeckt“, er galt als durch Schottergewinnung zerstört [29].
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Die Absuche im Fuschlsee blieb erfolglos. Nur der von M. Much untersuche Packwerkbau wurde lokalisiert und vermessen [30]. Die Anlage – nach Much durch einen schmalen Kanal vom Land getrennt – ist heute vollständig verlandet. Sie war ursprünglich kreisrund mit einem Durchmesser von 60 m. Durch Übereinanderschichten von mit Pfählen im Boden fixiertem Astwerk war eine künstliche Insel errichtet worden. Die Radiocarbondatierung einer Holzprobe ergab ein Alter der Anlage von 1430 ± 90 v. h. = 520 AC Jahren. Der Packwerkbau ist die bislang einzige Anlage dieser Art in Österreich.
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Für Irrsee und Hallstätter See ist der Bau einer Ringkanalisation in den nächsten Jahren geplant. Durch die Koordinierung der Planung von Bundesdenkmalamt, Amt der oberösterreichischen Landesregierung und Architektenbüro konnte die Bestandsaufnahme ohne Behinderung der Bauarbeiten rechtzeitig durchgeführt werden [31].
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Am Südostende des Irrsees wurde in ungefähr 3 m Tiefe ein Blockbau lokalisiert. Der Bau, dessen unterste Balkenlagen noch erhalten sind, misst etwa 1,60x2,20 m im Quadrat und wurde mit senkrechten Stehern, die mit den Balken verdübelt sind, am Boden befestigt. Im Inneren war er mit einem massiven Fußboden ausgestattet. Die Radiocarbondatierung ergab ein Alter von 350 ± 80 v. h. = 1600 AC Jahren.
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Auch im Hallstätter See wurden keine prähistorischen Objekte aufgefunden. Am Nordende des Hallstätter Sees wurde der bereits bekannte mittelalterliche Pfahlbau bei Steeg neu vermessen. Eine zu einem unregelmäßigen Viereck angeordnete Außenpalisade im Ausmaß von ungefähr 32x36 m umschließt 9x8 Reihen von Pfählen, die vermutlich eine Plattform getragen haben. Die Radiocarbondatierung gibt das Alter mit 500 ± 80 v. h. = 1450 AC Jahren an. Weitere wahrscheinlich zum Teil mittelalterliche Holzeinbauten wurden beim Gosauzwang, dem ehemaligen „Gosaurechen“ entdeckt. Auf senkrechten Stehern wurde eine mit dem Land verzahnte Rahmenkonstruktion errichtet und mit Schotter aufgefüllt. Die Anlage diente als Anlegestelle und Verladeplatz für den Holztransport nach Hallstatt.
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Südlich von Hallstatt, beim sogenannten „Hirschbrunn“ – einem vom Dachsteingletscher gespeisten Quellgebiet – wurde ein in den Fels gemeißelter Stollen vermessen. Der Fund einer römischen Münze im vorigen Jahrhundert und ein mittelalterlicher Bericht über einen Schatzfund an dieser Stelle lassen es möglich erscheinen, dass hier ein Quellheiligtum bestanden hat.
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[[Datei: Seeufersiedlungen 1981.jpeg|thumb|340px| Abb 5.Die Seeufersiedlungen des Salzkammergutes.]]
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Im Attersee wurden im Zuge der Bestandsaufnahme vier bekannte und sechs bisher unbekannte neolithische Siedlungen, eine latenezeitliche Siedlung, mittelalterliche und frühmittelalterliche Pfahlsetzungen um Schloss Litzlberg sowie eine römische Hafenanlage bei Weyregg kartographisch erfasst [32]. Mit der Siedlung Aufham wurde die größte bisher aufgefundene Siedlung vermessen. Die Längsausdehnung der Siedlung beträgt 420 m, sie bedeckt ein Areal von rund 15.000 m². Rund um Schloss Litzlberg wurden neben einer neolithischen Siedlung auch frühmittelalterliche Pfahlreihen vermessen. Die „Litzlburg“ wird erstmals im 14. Jahrhundert als Mondseer Lehen urkundlich erwähnt. Die Radiocarbondatierung der Pfähle mit einem Alter von 910 ± 80 v. h. = 1040 AC Jahren stellt die Anfänge der ''''' in das 11. Jahrhundert.''''' Bei Weyregg wurden Steinwälle entdeckt, die vom Ufer rund 40 bis 50 m in Form eines unregelmäßigen Trapezes ins Wasserlaufen. Die Steinwälle waren ursprünglich auf beiden Seiten mit mächtigen Lärchenstämmen befestigt, zwischen denen die Steine aufgeschüttet worden waren. Die seeseitige Mole war noch durch eine Reihe Wellenbrecher geschützt. Nach einer C14-Datierung wurden die Molen im 3. nachchristlichen Jahrhundert errichtet.
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Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme durch Sporttaucher haben alle Erwartungen übertroffen. Durch persönliche Initiative bei der Erarbeitung neuer Such- und Messmethoden und durch beispielhaften Einsatz selbst bei Minusgraden und Schneefällen – wenn es durch dringende Bauvorhaben erforderlich war – erarbeiteten die Taucher Unterlagen für die Denkmalpflege und spätere Forschungsvorhaben [33].
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===Die detailgerechte Vermessung===
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Diese Vermessungsmethode gewährleistet eine genaue Aufnahme des archäologischen Oberflächenbefundes. Sie wird dort angewendet, wo durch Ausschwemmungen oder andere Umstände eine Veränderung des derzeitigen Bestandes eintritt und bildet zusammen mit der Aufnahme von Hausgrundrissen und Siedlungszentren die Grundlage für spätere Trockenlegungen und Ausgrabungen. Auch diese Methode wurde in langjährigen Versuchen erarbeitet und erprobt. Insgesamt wurden drei Siedlungen – Mooswinkel und Scharfling im Mondsee und Misling II bei Unterach im Attersee – detailgerecht vermessen.
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[[Datei: Litzlberg-Süd.jpeg|thumb|340px| Abb 6. Umrissvermessung der Siedlung Litzlberg-Süd.]]
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Die Pfähle der Siedlung Mooswinkel wurden noch mittels langer, nach einem Farbcode nummerierter Bojen an die Wasseroberfläche projiziert und die Bojen von Land aus eingemessen. Diese Vermessungsmethode war jedoch unbefriedigend, die Fehlerquelle zu groß, die archäologische Befundung konnte nur ungenügend vorgenommen werden.
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Die Vermessung der Station Scharfling wurde daher zur Gänze auf eine zeichnerische Aufmessung unter Wasser umgestellt. Über das gesamte Pfahlfeld wurde ein Netz mit einem Meter Maschenweite ausgespannt und jeder Quadrant im Maßstab 1 : 10 auf wasserfestes Papier gezeichnet. An Land wurden die Zeichnungen in einen Grundplan im Maßstab 1 : 100 übertragen. Diese Methode war vom vermessungstechnischen Standpunkt annehmbar und sicherte eine genaue Aufnahme des Seebodens mit allen erforderlichen Details. Einen Nachteil stellte die Verletzlichkeit des riesigen 110x28 m großen Netzes dar.
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Daher wurde für die Vermessung der Siedlung Misling II ein aus 5 m langen Plastikrohren zusammengesetzter Rohrrahmen konstruiert, der unter Wasser mittels Kupplungen zusammengesetzt wird. Innerhalb des Rahmens wird ein Schnurnetz ausgespannt. Nach Beendigung der Vermessung wird der Rahmen entlang einer durch zwei Hilfspunkte fixierten Grundlinie neu aufgebaut. Damit wurde eine für die Oberflächenvermessung optimale Methode mit einer Fehlerquelle von nur 5 bis 10 cm entwickelt.
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Die Beiziehung naturwissenschaftlicher Disziplinen zur Untersuchung von Fundstätten im feuchten Siedlungsbereich ist heute unerlässlich. Ein gezieltes Forschungsprogramm ist jedoch nur im Rahmen der Detailvermessung möglich und scheiterte bisher an der Finanzierung. Die bisher vorgenommenen Bestimmungen müssen als Einzeluntersuchungen gesehen werden und können damit nicht als allgemeingültig für die Klärung der Pfahlbauproblematik herangezogen werden. Im Besonderen trifft dies für das archäologische und zoologische Fundmaterial zu, das ausschließlich aus Aufsammlungen vom Seeboden stammt und daher kaum Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann.
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Für die absolutchronologische Bestimmung der Pfahlbausiedlungen wurden 15 Holzproben für eine Radiocarbondatierung entnommen. Die ältesten Daten stammen aus den Stationen See und Scharfling im Mondsee: 
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Mondsee, Station See VRI- 37 4910 ± 130 v. h. = 2980 BC <br />
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Mondsee, Station See VRI- 68 4750 ±  90 v. h. = 2800 BC <br />
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Mondsee, Scharfling VRI-311 4980 ± 120 v. h. = 2990 BC <br />
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Mondsee, Scharfling VRI-313 4660 ±  90 v. h. = 2710 BC
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An diese Datierungen schließen die Daten von Mooswinkel/Mondsee, Misling II/Attersee und eine Bestimmung der neuentdeckten Station Kammer/Attersee an:
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Mondsee, Moosw. VRI-250 4560 ± 100 v. h. = 2610 BC <br />
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Mondsee, Moosw. VRI-332 4260 ±  90 v. h. = 2310 BC <br />
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Attersee, Misling II VRI-356 4710 ±  90 v, h. = 2760 BC <br />
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Attersee, Misling II VRI-335 4390 ±  90 v. h. = 2440 BC <br />
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Attersee, Kammer VRI-687 4420 ± 100 v. h. = 2470 BC
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Während sich die Bestimmung der Probe Kammer gut in die Datierungen der Proben aus den Stationen Mooswinkel und Misling II einpasst, scheinen die '''''Datierungen aus den Stationen See und Scharfling zu hoch''''' gegriffen und bedürfen einer Überprüfung. Vor allem aber sind die bisherigen '''''Datierungen im Hinblick auf die Siedlungsdauer unbefriedigend. ''''' Einerseits lassen frühere Funde aus dem Attersee [34], der Fund einer Kupfernadel mit schräger Bohrung an der Siedlung Misling II und die Interpretation von Schäftungsresten aus der Station See durch R. Pittioni [35] ein Überdauern der Mondseekultur bis weit in die Bronzezeit möglich erscheinen. Andererseits weist das bisher geborgene Keramikinventar ein geschlossenes Formengut auf. '''''Das Überleben einer Kulturform ohne äußere Einflüsse über einen – durch absolut- und relativchronologische Datierungen möglichen – Zeiraum von über 1000 Jahren scheint nicht denkbar.'''''
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Die Frage nach der Umwelt des prähistorischen Menschen steht heute immer mehr im Vordergrund. Die Kulturschichten der Feuchtbodensiedlungen liefern dazu reichhaltiges Material. Makrorestuntersuchungen, Pollenanalysen und stratigraphische Analysen tragen wesentlich zur Klärung der Klima- und Vegetationsgeschichte sowie auch der Siedlungslage und Agrartechnik bei. In den Jahren 1973 bis 1978 wurden Untersuchungen von Einzelproben aus den Siedlungen Misling II/A., Weyregg-Landungssteg/A., Scharfling/M. und Mooswinkel/M. angestellt [36]. Die pollenanalytischen Untersuchungen stellen die Siedlungen des Atter- und Mondsees in das ausgehende Atlantikum – in die Zeit von 3000 bis 2400 v. Chr. – und bestätigen damit die Ergebnisse der Radiocarbondatierungen.
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Wertvolle Erkenntnisse erbrachte die Untersuchung des gesamten bisher aufgesammelten Tierknochenmaterials aus dem Mondsee. Aus drei verschiedenen Sammlungsbeständen wurden insgesamt 11.337 Einzelstücke bestimmt. Teile des Materials stammen von Oberflächenaufsammlungen (Scharfling), stellen daher eine durch die schlechten Sichtverhältnisse bedingte Auslese dar und sind nicht unbedingt repräsentativ für die quantitative Zusammensetzung des Faunenbestandes [37].
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Der Untersuchung von Holzresten als dem Bauelement der prähistorischen Siedler – sonst kaum oder nur in Spuren vorhanden – kommt bei der Erforschung der Pfahlbausiedlungen besondere Bedeutung zu. Erste Untersuchungen von pflanzlichen Resten wurden anhand von Material aus der Station See/M. durchgeführt [38]. Die Holzproben wurden jedoch von der Wasseroberfläche aus mit Greifzangen geborgen, so dass die Wahrscheinlichkeit der Bestimmung „fremder“ Hölzer relativ hoch ist; vor allem nachdem neuere Analysen wenig Übereinstimmung zeigen. Durch K. Vymazal wurden 1975/76 rund 50 Pfähle aus der Station Attersee/Landungssteg und weitere 102 Pfähle aus der Station Misling II nach ihrer Holzart bestimmt. Die Pfähle sind, soweit sie aus dem Seeboden ragen, kegelförmig oder flach abkorrodiert und braun bis dunkelbraun gefärbt. Der im Seeboden steckende Teil ist meist hellgelb bis hellgrau, das Holz weich und schwammig. Die Lagerung am Seegrund hat das Holz zwar erhalten, aber doch Veränderungen der Holzstruktur bewirkt, die eine Bestimmung der Holzart erschweren [39]. Die Holzartenuntersuchung ergab auffallende Unterschiede in der Auswahl des Bauholzes. In Misling II/A. wurden hauptsächlich Fichtenstämme verwendet. In der nur 10 km entfernten Siedlung Attersee/Landungssteg dominiert die Esche.
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Die petrographische Bestimmung des Steinmaterials aus den Stationen Mooswinkel/M., Scharfling/M. und Misling II/A. lässt vorläufig noch keine Beziehungen zu anderen Fundstellen erkennen. Zum größten Teil stammt das verwendete Steinmaterial aus der unmittelbaren Umgebung der Fundstellen oder aus dem alpinen Bereich, vermutlich den Flussschottern des Alpenraumes. Nur Objekte aus Plattensilex und Feuerstein müssen als ortsfremdes – gehandeltes – Material angesehen werden.
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==Die Umwelt der Seeufersiedler==
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===Die Klimaschwankungen===
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[[Datei: Klimatabelle.jpeg|thumb|370px| Abb 7: Klimatabelle: gez. von cand.phil. Martina Kaltenegger.]]
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Die Lebens- und Siedlungsbedingungen des urgeschichtlichen Menschen waren in hohem Maß von den naturräumlichen Gegebenheiten abhängig. Diese Voraussetzungen lassen sich heute nach fast 50jähriger pollenanalytischer Forschung weitestgehend rekonstruieren. Für fast alle Landschaften Mitteleuropas ermöglichen Pollendiagramme die Interpretation der postglazialen Vegetationsentwicklung und damit auch der klimageschichtlichen Entwicklung.
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Die frühpostglaziale Klimaverbesserung führte zu einer raschen Wiederbewaldung des mitteleuropäischen Raumes mit Birke und Kiefer, in weiterer Folge zu einer Massenverbreitung der Hasel. In der Zeit des Klimaoptimums, der postglazialen Wärmezeit, stockte ein Eichenmischwald mit Hasel, Linde und Ulme, der im ausgehenden Atlantikum im Übergang zum Subboreal (Nachwärmezeit) von einem Eichenmischwald mit höheren Anteilen von Buche, Tanne und Fichte abgelöst wird. Vor allem die Ausbreitung der Rotbuche (Fagus silvatica) kündigt ein zunehmend subatlantisch werdendes Klima an. Etwa ab 2000 v. Chr. wird das Klima allmählich kühler und feuchter und nimmt einen ozeanisch gefärbten Charakter an. Der Verbreitungsschwerpunkt der Rotbuche als Mäßigwärmeanzeiger liegt im ozeanischen Klimagebiet. Im Alpenbereich setzt die Massenausbreitung der Rotbuche während des Neolithikums ein, im Alpenvorland möglicherweise erst während der Hügelgräberbronzezeit.
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Stratigraphische Untersuchungen in den Mooren Dänemarks, Mittel- und Norddeutschlands wie auch von Süßwasserkalkablagerungen liefern zusätzliche Hinweise klimageschichtlicher Art.
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Grenzhorizonte (Rekurrenzflächen) zwischen Schwarz- und Weißtorfen sind auf Änderungen der hydrologischen Situation zurückzuführen. Horizonte, in denen es gehäuft zu SW-Kontakten kommt, deuten klimabedingte Schwankungen im Moorwachstum an. Zeiten derartiger Bildungen von SW-Kontakten sind um 3000 v. Chr. und 1500 v. Chr. anzunehmen.
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Die stratigraphische Untersuchung von Süßwasserkalken führte zur Feststellung von Phasen starker Kalkabscheidung (Feuchtphasen) und Phasen rückläufiger Kalkbildung und humoser Bodenbildung (Trockenphasen). Eine derartige Feuchtphase ist für die Hügelgräberbronzezeit festzustellen. In der Bronzezeit setzt eine oszillierende Klimaentwicklung mit wechselnden Feucht- und Trockenphasen ein.
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Die Einbeziehung verschiedener Klimaindikatoren hat es ermöglicht, die Klimaschwankungen des Alpenraumes nahezu vollständig zu ermitteln. Während für das Mittelholozän vor allem Änderungen der Temperatur das Klimageschehen bestimmten, sind die jungholozänen Klimaschwankungen durch Änderungen des Hygroklimas charakterisiert.
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Günstigere klimatische Bedingungen in der postglazialen Wärmezeit bewirkten im Alpenraum ein Ansteigen der Buchen- und Tannenwälder in 200 bis 400 m höhere Lagen als heute. F. Firbas glaubt nach Untersuchungen am Troyboden bei Mitterbach die wärmezeitlichen Schichten der Buchenphase mit dem Beginn der frühbronzezeitlichen Erzgewinnung am Mitterberg gleichsetzen zu können. Auch F. Kral nimmt für das Atlantikum und frühe Subboreal eine Erhöhung der Wald- und Schneegrenze um etwa 300 m an.
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Die Ausbreitung von wärmeliebenden einjährigen Wasserpflanzen wie Najas marina, Najas minor und Trapa natans – nachgewiesen in den Schweizer Pfahlbauten und Siedlungen des Federseemoores – setzt höhere mittlere Sommertemperaturen voraus. Gams/Nordhagen leiten daraus eine Erhöhung der Waldgrenze um 100 bis 250 m, eine höhere Sommertemperatur von 1 bis 2 Grad und eine Verminderung der Niederschlagsmenge um etwa 20 cm ab. Diese Bedingungen führten zu einer Verlängerung der Vegetationsperiode um etwa 15 Tage, zu einem '''''Absinken des Grundwasser- und Seespiegels und dem damit verbundenen Freifallen breiter Strandplatten''''' [40].
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===Die Seespiegelschwankungen===
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[[Datei: Mondsee-Längsprofil.jpeg|thumb|460px| Mondsee – Längsprofil durch die Ausflussschwelle und Tiefenlage der Pfähle.]]
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[[Datei: Attersee-Querprofil.jpeg |thumb|460px| Attersee – Querprofil durch die Ausflussschwelle und Tiefenlage der Pfähle.]]
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[[Datei: Misling_einst_jetzt.jpeg|thumb|460px| Abb 10. Profil der Seeufersiedlung Misling II – einst und jetzt.]]
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[[Datei: Höchst_Tiefstwasserstände.jpeg|thumb|460px| Abb 12. Höchst- und Tiefwasserstände des Mond- und Attersees.]]
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In Zusammenhang mit dem '''''Absinken der Seespiegel stellt sich die Frage nach der Höhe der Seeabflussschwellen.''''' Nachdem für mehrere der untersuchten Siedlungen archäologisch einwandfrei festgestellt wurde, dass sie auf diesen trockengefallenen Strandplatten errichtet wurden, setzt dies eine '''''Seespiegelabsenkung im Attersee um rund drei Meter, im Mondsee um rund dreieinhalb Meter''''' voraus. Ausgeklammert muss dabei vorläufig das Problem der Niveausenkungen, Schichtpressungen und Rutschungen bleiben, wie sie in den Seeufersiedlungen der Schweiz festgestellt wurden. Einerseits weil hier einschlägige Untersuchungen, die nur im Zuge von Grabungen angestellt werden können, vollständig fehlen, andererseits doch in den Salzkammergutseen eine abweichende Problemstellung möglich erscheint.
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Für die Siedlung Scharfling wurde eine Tiefenlage der Pfähle und Kulturschicht von 476 m ü. A., für See/Mondsee – soweit dies ohne Detailvermessung möglich war – von 477 m ü. A. nachgewiesen. Die Höhe der Ausflussschwelle liegt heute bei 480 m ü. A.
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Ähnlich ist die Situation im Attersee. Die Kulturschichten von Aufham I und II, Abtsdorf und Misling II konnten bis durchschnittlich 466 m ü. A. verfolgt werden. Eine Ausnahme bildet die Anlage von Unterbuchberg, die bis in eine Tiefe von 468,9 m ü. A. reicht, also rund einen Meter höher liegt. Zwei Radiocarbondaten ergaben für Unterbuchberg folgende Daten:
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VRI-468 – 1/74 2040 ± 70 v. h. =  90 BC <br />
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VRI-578 – 2/76 1450 ± 70 v. h. = 500 AC
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Diese Anlage steht somit außerhalb der neolithischen Seeufersiedlungen, ihre „Höhenlage“ ist möglicherweise bereits auf ein Ansteigen des Seespiegels infolge der im ausgehenden Subboreal einsetzenden Klimaverschlechterung zurückzuführen.
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Die Abflussschwelle des Attersees liegt derzeit bei 468,9 m ü. A. Die Pfähle und Kulturschichten im Attersee liegen heute etwa 3 m unter der Abflussschwelle, die des Mondsees rund 3,5 m.
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'''''Entweder haben nun die Abflussschwellen in historischer Zeit durch vermehrte Wasserführung eine Aufschotterung erfahren und lagen in urgeschichtlicher Zeit um ein Wesentliches tiefer, oder die Seen waren <big><u>abflusslos</u></big>.'''''
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In der Siedlung Misling II wurden mit Pflöcken fixierte Substruktionen vor allem am seeseitigen Rand bis zur Mitte der Siedlung festgestellt. Dies beweist, dass die Siedlung entweder unmittelbar am Rand des Sees auf bereits feuchten Boden errichtet wurde, oder dieser Bereich durch periodisch auftretende Spiegelschwankungen durchfeuchtet wurde. Der höhergelegene Teil der Siedlung war scheinbar von einer derartigen Durchfeuchtung nicht betroffen, die in Misling II/A., Scharfling/M. und Weyregg/A. vorgefundenen Unterzüge, Grundschwellen und Pfahlsubstruktionen waren auf keinen Fall geeignet, Spiegelschwankungen größeren Ausmaßes auszugleichen. Die beabsichtigte Niveauerhöhung der Fußböden kann kaum mehr als 20 bis 30 cm betragen haben. In den '''''meisten untersuchten Siedlungen''''' konnte durch Bohrproben '''''nur eine Kulturschicht''''' festgestellt werden. Nur in den Stationen '''''Weyregg/Landungssteg und Aufham II/A. sind mehrere Kulturschichten von Seekreide überlagert ''''', wie dies auch in den Siedlungen der Schweiz nachgewiesen werden konnte. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass die Siedlungskontinuität durch Überflutungen unterbrochen wurde.
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Werden Überlegungen zu periodischen Seespiegelschwankungen moderne Verhältnisse zugrunde gelegt, ergeben sich folgende Resultate: Für den Mondsee beträgt die Höhe der jahreszeitlich bedingten Spiegelschwankungen im Durchschnitt der Jahre 1900 bis 1950 12,9 cm., für den Attersee 19,7 cm. Die Situation verändert sich etwas bei Betrachtung der Höchstwasserstände für beide Seen. Bezogen auf den mittleren Wasserstand beträgt der durchschnittliche Höchstwasserstand für den angegebenen Zeitraum im Mondsee 65,5 cm, im Attersee 45,6 cm. Wäre die Siedlung bei Mittelwasser unmittelbar am See gelegen, läge etwa ein Fünftel der Siedlung unter Wasser. Nur Höchstwasserstände – im Mondsee in diesem Zeitraum zweimal mit 181,3 cm über dem Mittelwert gemessen – hätten ungefähr die Hälfte des Siedlungsareals überschwemmt. Die untersuchten Substruktionen reichen nicht aus, um eine derartige Überflutung zu überbrücken.
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Solche Überlegungen sind nur mit Vorbehalt in die Jungsteinzeit zu übertragen. Sie scheinen insofern gerechtfertigt, als die klimatischen Verhältnisse kaum extremere Bedingungen annehmen lassen.
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In der Zeit von etwa 2800 bis 2000 v. Chr. wurden die feuchten Strandplatten der Seeufer, die '''''<u>infolge höherer Temperaturen und teilweise geringerer Niederschlagsmengen vom Wasser freigefallen</u>''''' waren, für die Anlage von Siedlungen benutzt. Die Siedlungsobjekte wurden durch Unterbauten – Substruktionen – verschiedener Art vom feuchten Untergrund abgehoben. Jahreszeitlich bedingte Seespiegelschwankungen erreichten ein so geringes Ausmaß, dass Überflutungen der Siedlungen fast auszuschließen sind. Nur episodisch auftretende Höchststände der Seespiegel konnten zu teilweiser Überflutung des Siedlungsareals führen. Es liegt der Schluss nahe, dass die Siedlungen auf relativ trockenem Boden errichtet wurden, stärkere Durchfeuchtungen oder Überflutungen nur bei fallweisen Seespiegelhöchstständen auftraten.
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Das günstige Klima führte zu einem Vegetationsoptimum. Guyan spricht in diesem Zusammenhang von einem „Steinzeiturwald“, der etwa 90 Prozent des Landes bedeckte [41]. Die Landschaft des Salzkammergutes war unberührt, als die ersten Siedler, die sich an den Seeufern niederließen, in sie eindrangen. Im Bereich ihrer Siedlungen, in der Zone jährlicher Überflutungen wuchsen Weidengebüsche, Erlen und Eschen. Der nähere Siedlungsraum war von einer Buschlandschaft umgeben. Haselsträucher bilden Hecken und Büsche, durch Rodungen verbesserte Lichtverhältnisse begünstigten das Aufkommen von Wildäpfel- und -birnbäumen. In tieferen Lagen bis etwa 700 m Seehöhe wuchs ein artenreicher Buchenmischwald mit Tanne, Fichte, Ahorn, Linde, Ulme, Eibe und Vogelkirsche. Die Tanne war sehr stark vertreten, die Fichte griff nur von feuchten Bachtälern oder auf schattseitigen Hängen in die Waldgesellschaft ein. Im Kalkgebiet stockte artenreicher Fichten-Tannen-Buchenmischwald, die Strauchschicht bedeckte bis zu 5 Prozent des Bodens [42].
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'''''<u>Vegetationsärmere Flächen waren nur die Strandplatten der Seen.</u> Moore oder vereinzelte trockene Anhöhen. Die kleinen Siedlergruppen griffen vorerst nicht nachhaltig in das Landschaftsbild ein.'''''
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'''''Warum sie ihre Ansiedlungen auf <u>ausgesprochen siedlungsfeindlichen Böden</u> anlegten, konnte bis heute nicht vollständig geklärt werden. Zieht man jedoch Schwierigkeit und Ausmaß der Rodungstätigkeit, der sich diese kleinen bäuerlichen Gemeinschaften unterwerfen mussten, in Betracht, kann ein Ausweichen auf ungüstigeren Siedlungsboden, der für landwirtschaftliche Nutzung nicht geeignet war, als vorläufige Lösung angeboten werden.'''''
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==Siedlung und Hausbau==
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[[Datei: Misling-Pfahlplan.jpeg|thumb|460px| Abb 13. Pfahlplan der Siedlung Misling II/Attersee.]]
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Die bisher untersuchten, auf den trockengefallenen Strandplatten der Seen errichteten Siedlungen fanden sich '''''stets auf Seekreideböden'''''. Die seeseitige Begrenzung der Siedlungen ist meist durch den Beginn eines Abfalles im Seeboden in etwa 4 m Tiefe gekennzeichnet, die landseitige Begrenzung ist nur erschwert festzustellen, da in diesem Bereich das Siedlungsareal häufig durch erodiertes Material überschüttet ist. Dennoch ist die Übereinstimmung der landseitigen Begrenzungslinien auffällig. Sie liegen mit geringen Abweichungen durchwegs innerhalb eines bestimmten Höhenbereiches, obwohl anzunehmen wäre, dass '''''einer landseitigen Ausbreitung keine Hindernisse''''' im Wege standen. Eine derart übereinstimmende landseitige Begrenzung kann kaum auf einem Zufall beruhen. Bei der Anlage der Siedlungen wurden anscheinend natürliche Gegebenheiten, Strandlinie und Vegetationsgrenzen berücksichtigt. Die Siedlungen bedecken in langgestreckter Form, die durch die beiden Begrenzungslinien bedingt ist, ausschließlich die Strandplatten. Ihre Größenausbreitung ist sehr unterschiedlich. Die Station Mooswinkel/M. bedeckt eine Fläche von rund 1200 qm, doch fällt sie aufgrund ihrer Lage aus dem normalen Siedlungsschema heraus [43]. Scharfling/M. nimmt eine Fläche von rund 1600 qm, Misling II/A. 2300 qm, Misling I/A. rund 1700 qm, Litzlberg-Süd 5000 qm und Aufham I als bisher größte vermessene Station 13.000 qm ein. Diese Ausmaße übertreffen bei weitem alle früher getätigten Beobachtungen.
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Der Fischer Wang, Entdecker der Siedlung Misling I, zählte rund 50 Pfähle und vermutete an dieser Stelle zwei Hütten. K. Willvonseder gibt die Siedlung noch mit 40 m Länge und 10 m Breite an. Diese Beobachtungen wurden vom Boot aus durchgeführt. Für den Taucher sind etwa 10 Prozent der Pfähle ohne Materialbewegung sichtbar. Doch auch diese gerade noch erkennbaren, etwas über den Boden ragenden Pfähle sind mit 2 bis 3 cm Schlamm bedeckt und daher Steinen zum Verwechseln ähnlich. Der Bearbeiter der Siedlung, K. Czech nimmt im Zentrum der Siedlung 10 bis 15 Pfähle/qm an und schätzt die Gesamtzahl der Pfähle auf rund 12.000 [44].
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===Pfahlfelder und Substruktionen===
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[[Datei: Scharfling-Pfahlrost-Rekonstruktion.jpeg|thumb|330px| Scharfling – Rekonstruktionsversuch eines Pfahlrostes.]]
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[[Datei: Grundschwellen-Rekonstruktion.jpeg|left|thumb|260px| Rekonstruktion Grundschwelle Weyregg I.]]
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[[Datei: Misling-Grundschwellen.jpeg|thumb|260px| Grundschwellen eines Hauses in Misling II.]]
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[[Datei: Scharfling-Grundschwellen.jpeg |thumb|360px| Pfahlrost in der Siedlung Scharfling/M. mit Grundschwellen]]
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[[Datei: Grundschwellen-Fixierung.jpeg|left|thumb|230px| Misling II – Grundschwellenfixierung.]]
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[[Datei: Scharfling-Pfahlrost.jpeg|left|thumb|220px| Detailaufnahme des Pfahlrostes.]]
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[[Datei: Holzarten-Verwendung.jpeg|thumb|260px| Holzarten der Pfähle und Substruktionen.]]
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[[Datei: Misling-Detailplan.jpeg|thumb|260px| Misling: Pfähle mit senkrechten Nuten]]
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[[Datei: Misling-Substruktion-Rekonstruktion.jpeg|thumb|260px| Misling – Rekonstruktion Substruktion]]
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[[Datei: Weyregg-Grundschwelle.jpeg|left|thumb|260px| Detailaufnahme Grundschwelle Weyregg I.]]
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In Misling II wurden im Durchschnitt 8 bis 10 Pfähle/qm, im Zentrum der Siedlung 20 bis 25 Pfähle/qm vermessen. Die Gesamtzahl der Pfähle wurde auf etwa 19.000 geschätzt, ihre Dicke schwankt zwischen 2 und 20 cm und beträgt durchschnittlich 9 bis 10 cm. Für die Dichte der Pfahlsetzung sind mehrere Gründe maßgeblich. Vor allem in Misling II kann aus der Lage der Substruktionen vermutet werden, dass ganze Gebäude – vielleicht aus Baufälligkeit – abgerissen und nicht deckungsgleich wieder aufgebaut wurden. Die Fußböden der Häuser wurden auf Unterzügen errichtet und diese mit Pflöcken im Boden verankert.
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Die durchschnittliche Haltbarkeit der Pfähle im feuchten Untergrund betrug etwa 8 bis 10 Jahre, sie mussten daher in regelmäßigen Abständen erneuert werden. In Thayngen „Weier“ (Schweiz) wurden nach dendrologischen Untersuchungen Eichenpfähle nach 17 Jahren ausgewechselt. Wenn sich die Besiedlung über mehrere Generationen erstreckte, ist die Vielzahl an Pfählen leicht verständlich. Die Pfahldichte hat bisher auch die Erarbeitung von Hausgrundrissen erschwert, doch scheinen sich relativ kleine Grundrisse von Rechteckhäusern im Ausmaß von 4x6 m anzudeuten.
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Die '''''Ungunst des Siedlungsbodens''''' erforderte besondere bautechnische Maßnahmen. Seekreideböden sind in ausgetrocknetem Zustand hart und tragfähig, mit zunehmender Feuchtigkeit quellen sie auf, werden weich und plastisch und verlieren damit an Tragfähigkeit. Um das ungünstige Wohnklima auf den periodisch durchfeuchteten Siedlungsböden zu verbessern, musste versucht werden, die Fußböden der Häuser trocken zu halten. Die technische Bewältigung dieser Probleme ist den neolithischen Siedlern in ausgezeichneter Weise gelungen. In Scharfling, Misling II und Weyregg wurden verschiedene Arten von Substruktionen aufgefunden, die eine Interpretation dieser Techniken erlauben.
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In Scharfling wurden drei rund 2,5 m lange, parallel liegende Balken aufgefunden, die mit – in halbrund ausgehauenen Ausnehmungen stehenden – Pflöcken am Boden befestigt wurden. Senkrecht auf diese Balken war ein ebenfalls durch Pflöcke fixierter Längslieger aufgelegt. Ausnehmungen an der Oberfläche der Querlieger beweisen, dass weitere Balken durch Ausschwemmung verloren gegangen sind. Eine Rekonstruktion der Balkenkonstruktion ergibt einen Horizont mit den Maßen 2,5x4 m.
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Ein ähnlicher Unterbau liegt am seeseitigen Rand der Siedlung Misling II. Reste eines Holzrahmens sind ebenfalls mit Pflöcken am Boden befestigt und deuten ein Rechteck von etwa 2,6 m Breite an. Seeseitig ist der Rahmen unvollständig. Die Ausnehmungen für die Pflöcke sind meist kantig, teils halbrund aus den Stämmen ausgehauen. Flache Einkerbungen an der Oberfläche eines Stammes deuten an, dass auch hier Querlieger über dem Rahmen angebracht waren und einen Rost bildeten. Die Pflockausnehmungen verhinderten eine Drehung der Balken um die Längsachse und stabilisierten so den Rost. Fußböden und Wände bildeten keine starren Konstruktionen, sondern wurden als getrennte Elemente errichtet.
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In beiden Siedlungen wurden nicht nur seitlich fixierte Substruktionen vorgefunden. In Misling II war einem mächtigen Holzstamm von 3,5 m Länge und fast 50 cm Durchmesser ein dicker Aststumpf belassen worden, der flach auf dem Boden auflag und eine Bohrung aufwies. Drei weitere Bohrungen befanden sich im ersten und zweiten Drittel sowie am Ende des Hauptstammes. Durch zwei Bohrungen war je ein Pflock geschlagen, durch die dritte drei. Der Stamm war außerdem noch durch neun seitlich angebrachte Pflöcke im Boden verankert. Der Befund wies auf ein abweichendes Konstruktionsprinzip. Der Aufwand an Pfählen war zur Stabilisierung der Drehbewegung nicht nötig. Die mächtigen Balken dienten möglicherweise als statische Druckverteilung für aufgesetzte Hauswände, die einseitiges Einsinken verhindern sollten.
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Der Beweis für diese Vermutung wurde in der Siedlung Weyregg/Landungssteg gefunden. Der Dampferverkehr hat hier eine breite Rinne durch die Siedlung ausgeschwemmt, in der immer wieder Kulturschicht, Pfähle und Substruktionen freigelegt wurden. Bei einem Kontrolltauchgang wurde in der Fahrrinne ein 6 m langer, rund 45 cm dicker Balken aufgefunden, der in der bekannten Art mit Pflöcken am Boden befestigt war, jedoch seitlich eine noch schwach kenntliche Längsnut aufwies. An der Oberseite des Balkens sind in regelmäßigen Abständen Bohrungen angebracht, die ihn aber nicht durchdringen. Die Bohrungen haben einen Durchmesser von etwa 10 cm, in zwei Bohrungen staken noch kurze Reste von Pfählen. Der Balken wurde gehoben und liegt derzeit zur Konservierung in den Werkstätten des Bundesdenkmalamtes.
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Ein Jahr später wurde ein Gegenstück zum Weyregger Balken in der Siedlung See/Mondsee aufgefunden. Auch in diesem Stamm staken noch die Reste von senkrechten Pfählen. Damit ist der Beweis erbracht, dass die Wandkonstruktionen auf derartigen Balken aufgesetzt wurden, um ein einseitiges Einsinken zu verhindern.
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Eine andere Substruktion wurde wiederum in Misling II festgestellt. An mehreren Stellen des Pfahlfeldes wurden Pfähle vermessen, die vorerst gespalten schienen, bis eindeutig geklärt werden konnte, dass diese 5 cm breiten, etwa 10 cm tiefen „Spalten“ senkrechte Nuten darstellten.
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Eine mögliche Erklärung des Konstruktionsprinzips ergab die Stellung von vier Pfählen mit Nut in einem Rechteck von 3x4 m. Ein fünfter Pfahl steht im Zentrum des Rechtecks. Die Nuten von je zwei Eckpfählen sind zueinander ausgerichtet. Ein Eckpfahl trägt eine T-förmige Nut, der gegenüberliegende Pfahl hat keine derartige Ausnehmung, vor ihm steht jedoch ein Pfahl mit muldenförmiger Vertiefung als Auflage. Die Nut des Mittelpfahles steht parallel zu den Nuten der Außenpfähle. Die Pfähle fungierten als Träger einer Rahmenkonstruktion, die mit Nut-Federverbindung mit den Pfählen verzapft war. Auch hier kommt das Prinzip, ein seitliches Verdrehen und Einsinken zu verhindern, zum Tragen. Die Nuten und damit auch die Federn sind jedoch zu schwach ausgebildet, um größere Belastung aufnehmen zu können. Ähnliche Bauten sind aber aus der Urgeschichte bis in die Neuzeit als Getreidespeicher bekannt. Möglicherweise wurden hier die Reste eines solchen Baues freigelegt.
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===Konstruktionselemente und Holzarten===
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[[Datei: Misling-Konstruktionselemente 1.jpeg|left|thumb|220px| Konstruktionselemente – Misling II]]
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[[Datei: Misling-Konstruktionselemente 1.jpeg|thumb|220px| Konstruktionselemente – Misling II]]
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[[Datei: Holzartenanteile_Misling_Attersee.jpeg|left|thumb|260px| Holzartenanteile in Misling II und Attersee]]
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[[Datei: Misling-Pfahlquerschnitte.jpeg|thumb|260px| Holzartenanteile in Misling II und Attersee]]
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[[Datei: Zapflöcher-Herstellung.jpeg|left|thumb|260px| Zapflöcher-Herstellung]]
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[[Datei: Beilspuren.jpeg|thumb|260px| Pfähle mit Beilspuren]]
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Neben den Substruktionen wurden in Misling II weitere bautechnische Details geklärt. So wurden die Reste von zwei rund 15 cm breiten und 2 cm starken Brettern gefunden, die mit zwei Holzdübeln flach miteinander verbunden waren. Pfähle mit schrägen und waagrechten Bohrungen, halbierte und mehrkantig behauene Pfähle – wobei drei, vier ode|r mehr Stammelemente vom Kernholz abgespalten wurden – sowie radiale Stammausschnitte beweisen einen hohen Stand der Holzbearbeitungstechnik.
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Beilspuren an Hölzern, wie sie in Misling II häufig festgestellt wurden, sieht Guyan als Beweis für eine Bearbeitung in saftfrischem Zustand an [45]. Die Untersuchung der Bauhölzer aus Misling II und Attersee/Landungssteg ergab wesentliche Unterschiede in den Holzarten, die möglicherweise aus der Siedlungslage erklärbar sind. In der Siedlung Attersee/Landungssteg stellt die Esche mit 44 Prozent den höchsten Anteil, gefolgt von Schwarzerle, Weißerle, Birke, Weißpappel und Weide. Die Fichte ist unter den entnommenen Proben nicht vertreten. Die bestimmten Arten stammen durchwegs aus Gehölzen des Auwaldes oder feuchter Standorte. Die technologische Qualität ist eher gering.
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Im Gegensatz dazu stellt die Fichte in Misling II mit 22 Prozent den höchsten Anteil, gefolgt von Pappel, Weide, Erle, Birke und Esche.
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Die Fichte ist eine leicht spaltbare Holzart. Etwa die Hälfte der untersuchten Fichtenstämme war halbiert oder geviertelt. Die Fichte ist in der Wahl ihres Standortes eher anspruchslos, nur sehr trockene Plätze oder stehende Nässe meidet sie [46]. Die Siedlung Misling II liegt am Fuße eines mäßig ansteigenden Hügels, der wenig Raum für Ackerland lässt und auch heute noch einen starken Fichtenbestand aufweist. Im Hinterland der Siedlung Attersee/Landungssteg wurden erst in jüngster Zeit große anmoorige Flächen drainagiert. In urgeschichtlicher Zeit müssen diese Bereiche von dichtem Auwald bestanden gewesen sein.
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Die Seeufersiedler haben in erster Linie das bei der Rodungstätigkeit anfallende oder zumindest aus dem näheren Siedlungsbereich stammende Holz verwendet, scheinbar ohne Berücksichtigung seiner Haltbarkeit im feuchten Untergrund oder seiner technologischen Qualität. Nur die Erle eignet sich besonders für die Verwendung im nassen Bereich. Harthölzer wie Buche und Eiche sind mit 1 bzw. 2 Prozent unterrepräsentiert. Möglicherweise beeinflusste auch die unterschiedliche Abnutzung der Beilschneide die Auswahl der Hölzer, bei der Bearbeitung von Weichholz bleibt die Schneide eines Steinbeils zwölfmal solange leistungsfähig.
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Unmittelbar auf der Seekreide als Siedlungsboden lagert eine aus organischem Material aufgebaute „Kulturschicht“, die teils intentionell, teils aus zufällig liegengebliebenen oder eingeschleppten Resten von Heu, Ästen und Zweigen entstanden ist. Makrorestuntersuchungen dieser Schicht liefern reiche Informationen über die anthropogene Beeinflussung der Vegetation, über Agrartechnik und Siedlungslage sowie über Waldzusammensetzung, Auswahl der Holzarten und Sämereien durch den Menschen und Schichtentstehung. Auch für diesen Bereich liegen nur einige wenige Einzeluntersuchungen vor, die dennoch bereits zeigen, welch weiter Problemkreis hier angeschnitten wird.
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Während bei den Pfählen Holzarten der Uferzone dominieren, stellt die Tanne bei den in der Kulturschicht enthaltenen Zweigen den höchsten Anteil, unter den Nadelresten ist die Fichte am höchsten vertreten. Nach Schweingruber dürfte aber die Diskrepanz zwischen Fichten- und Tannenzweigen und der entsprechenden Nadelzahl wohl auf Zufall beruhen. Holzkohlenreste und Holzsplitter stammen von Buche, Weißtanne und Eiche. Auffällig ist der hohe Anteil von Rinden und Zeigen in den Proben, der nach Schweingruber auf Bodenbelege und Wandgeflecht schließen lässt. Tatsächlich wurden sowohl in Scharfling wie auch in Misling II vor allem im seeseitigen Bereich der Siedlungen größere Flächen mit Rindenbahnen belegt, vermutlich um eine bessere Begehbarkeit des Bodens zu erreichen. In beiden Stationen wurden auch Fragmente gebrannten Hüttenlehms mit Eindrücken von Flechtwerk gefunden. Tannenreisig wurde auch als stabilisierende Herdunterlage verwendet [47]. Einige quadratmetergroße Lehmlinsen in Misling II könnten als Hinweise auf das Vorhandensein derartiger Herdplatten gewertet werden.
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Das häufige Vorkommen von Neckera crispa [Krausblättriges Neckermoos], einer Moosart, die nicht in der feuchten Uferzone gedeiht, scheint auf menschliche Sammeltätigkeit zurückzuführen sein und wurde wahrscheinlich als Dichtungsmaterial verwendet [48].
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Die Seeufersiedlungen wurden vermutlich durch die noch im Subboreal einsetzende Klimaverschlechterung und den damit verbundenen Seespiegelanstieg unter Wasser gesetzt. Dieser Anstieg brach sicher nicht katastrophenartig über die Siedlungen herein, sondern ging wahrscheinlich sehr allmählich vor sich. Einen Hinweis darauf könnte die „Höhenlage“ der kaiserzeitlichen Anlage von Unterbuchberg darstellen, ebenso auch die Befunde von Misling II und Scharfling. Im Bereich des vermuteten jungsteinzeitlichen Ufersaumes wurde eine starke Schwemmholzzone vorgefunden, die größtenteils Bauholz aus der Siedlung enthält. Bei einem Verfall der Siedlung mussten niederbrechende Bauteile der unmittelbar am Ufer stehenden Häuser an diesem ursprünglichen Ufer abgelagert werden. Sie sogen sich voll Wasser, blieben liegen und wurden von einem langsam ansteigenden Wasserstand in ihrer Lage kaum verändert. Wären die Siedlungen durch rasch steigende Hochwässer zerstört worden, müssten die Balken verschwemmt über den gesamten Siedlungsbereich verstreut oder im späteren Uferbereich abgelagert worden sein. Die Schwemmholzschicht scheint ein Hinweis darauf zu sein, dass die Siedlung zum Zeitpunkt der Überflutung bereits verlassen war und der Seespiegelanstieg sehr allmählich vor sich ging. Ob der langsam steigende Grundwasserspiegel die Siedler zur Aufgabe der Siedlungen zwang, oder andere Gründe vorlagen, bedarf noch der Klärung, wie auch über die Dauer der Besiedlung noch keine bindenden Aussagen getroffen werden können.
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==Jagd und Viehzucht (nach Wolff et al.)==
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In den dichten Wäldern des Salzkammergutes war die Wildtierwelt des Neolithikums im Wesentlichen die gleiche wie heute. Der Tierbestand des urzeitlichen Urwaldes darf jedoch nicht überbewertet und im Vergleich mit den behegten Wäldern der Neuzeit gesehen werden. Der Eingriff des Menschen in die Landschaft, Rodung, Ackerbau und Waldweide, dazu die Bejagung im Bereich der Siedlungen erschwerte sicher die Erlegung des Wildes.
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In Burgäschi-Süd (Schweiz) wurde eine neolithische Seeufersiedlung fast vollständig ausgegraben. Die Bearbeitung des osteologischen Materials gewährte einen Einblick in die Zahl der durchschnittlichen Jahresbeute. Rothirsche wurden in einem Jahr nur zwei Tiere, Ure in drei Jahren ein Tier, Wisent und Bär in zehn bis zwölf Jahren nur je ein Tier erlegt.
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Die bisher untersuchten Knochenreste stammen durchwegs aus den Seeufersiedlungen des Mondsees. Das Material aus der Siedlung Scharfling wurde von der Oberfläche der Kulturschicht aufgesammelt, die Funde der Station See wurden durch Grabungen gewonnen. Aus diesem Grund kann die quantitative Zusammensetzung des osteologischen Materials aus der Station See als unverfälscht angesehen werden. Das Fundmaterial aus Scharfling war einer durch die schlechten Sichtverhältnisse bedingten Auslese durch die Taucher unterworfen. Kleinere Fundobjekte wurden eher übersehen.
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[[Datei: Säugetieranteile See.jpeg|thumb|460px| Säugetierarten aus der Station See/M. nach der Häufigkeit im Fundgut.]]
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Die Liste der in den Siedlungen des Mondsees nachgewiesenen Wildtiere umfasst:
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Rothirsch Cerbus elaphus L. <br />
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Gämse Rupicapra rupicapra L. <br />
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Wildschwein Sus scrofa L. <br />
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Reh Capreolus capreolus L. <br />
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Biber Castor fiber L. <br />
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Braunbär Ursus arctos L. <br />
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Baummarder Martes martes L. <br />
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Igel Erinaceus europeus L. <br />
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Fuchs Vulpes vulpes L. <br />
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Wolf Canis lupus L. <br />
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Iltis Mustela putorius L. <br />
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Dachs Meles meles L. <br />
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Fischotter Lutra lutra L. <br />
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Wildkatze Felis silvestris S. <br />
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Luchs Lynx lynx L. <br />
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Wild- oder Hauspferd Equus ferus B. oder Equus ferus f. caballus L. <br />
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Steinbock Capra ipex L. <br />
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Feldhase Lepus europeus L. <br />
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Eichhörnchen Sciurus vulgaris L. <br />
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Siebenschläfer Glis glis L. <br />
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Wisent Bison bonasus L. <br />
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Elch Alces alces L. <br />
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Ur Bos primigenius B.
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'''Vögel'''
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Mittelsänger Mergus serrator L. <br />
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Gänsesänger Merus merganser L. <br />
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Auerhuhn Tetrao urogallus L. <br />
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Haselhuhn Tetrastes bonasia L. <br />
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Waldschnepfe Scolopax rusticola L. <br />
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Waldkauz strix aluco L. <br />
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Pirol ? Oriolus oriolus L. <br />
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Kolkrabe Corvus corax L.
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'''Fische'''
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Hecht Esox lucius L. <br />
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Huchen Hucho hucho L.
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Der Rothirsch war das Charaktertier des neolithischen Mitteleuropas und führt zahlenmäßig die Wildtierlisten der meisten Siedlungen an. Er fand in den jungsteinzeitlichen Wäldern optimale Bedingungen vor und erreichte eine Größe, die „oft die Höhe ansehnlicher Pferde übertraf“. Der Rothirsch ist ein ergiebiger Fleischlieferant und seine im Bruch scharfkantigen Knochen sowie die Geweihstangen waren als Rohmaterial für die Werkzeugherstellung geschätzt.
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Das Reh stand in seiner Bedeutung als Jagdtier an vierter Stelle. Es kam im Wald der Jungsteinzeit viel weniger häufig vor als etwa im Mittelalter oder in der Neuzeit. Neben der Nahrungsbeschaffung wird auch das hegerische Moment des Pflanzers maßgeblich die Jagd auf Reh und Wildschwein beeinflusst haben.
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Die Häufigkeit des Vorkommens der Gämse verschafft den Stationen Scharfling und See eine Sonderstellung unter den neolithischen Siedlungen. Auch die Knochen der Gämse wurden ihrer Härte wegen zur Geräteerzeugung herangezogen. Die Weidekonkurrenz für die Hauswiederkäuer der Siedlungen mag zusätzlich zum Fleischgewinn einen weiteren Grund für die Bejagung der Gämse dargestellt haben.
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Der Steinbock ist nur als Einzelfund nachgewiesen, sein nächster Standort war sicher der Schafberg, auf dessen Höhen die Siedler ihr Jagdgebiet eher selten ausgedehnt haben dürften.
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Der Elch hingegen zählt in den neolithischen Siedlungen Mitteleuropas nicht zu den Seltenheiten. Seine Häufigkeit nimmt vom Ende des Neolithikums an bei uns ab, noch vor Beginn des Mittelalters dürfte er aus unserem Gebiet verschwunden sein. Er ist im Mondseematerial mit vermutlich zwei Exemplaren vertreten.
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Die Wildrinder sind nur durch spärliche Funde nachgewiesen. Der Ur gilt als Urahne unserer Hausrinder und war in Europa allgemein verbreitet. In Süddeutschland wurde er spätestens im 10. Jahrhundert zum letzten Mal gesehen. Der Ur fehlt in fast keiner neolithischen Siedlung; der Wisent war zwar ebenfalls in ganz Europa verbreitet, scheint aber in den jungsteinzeitlichen Siedlungen der Schweiz seltener auf. Nach Höhlenfunden aus den Nordostalpen dürfte der Wisent häufiger in den Vorgebirgsbiotopen vorkommen, währen der Ur eher als Wechselwild anzusehen ist.
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Das Wildschwein stand in seiner Bedeutung als Jagdtier hinter der Gämse an dritter Stelle. Auch ihm boten die neolithischen Laubwälder optimale Lebensbedingungen, wie der Rothirsch war auch das Wildschwein größer als heute. In Europa gab es nur eine Wildschweinart, deren domestizierter Abkömmling das Hausschwein ist. Schweinefleisch wurde anscheinend nur in geringem Maß verzehrt, es deckte nur ungefähr die Hälfte des Bedarfes.
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Der Braunbär, Bewohner unzugänglicher Waldgebiete und der größte unter den heimischen Bärenarten, konnte als einziges Wildtier nennenswerte Abwechslung in die fast zur Gänze von Huftieren bestrittene Fleischkost bringen. Sein Pelz war sicher begehrt, seine Zähne wurden häufig durchbohrt und dienten als Schmuck.
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Unter den Nagetieren kommt der Biber am häufigsten vor. Die weitverzweigten Flüsse, ausgedehnte Sümpfe und Auwälder boten ihm ausgezeichnete Bedingungen. Sein Fleisch und Pelz waren geschätzt, der meißelförmige Kiefer wurde als Werkzeug verwendet.
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Der Fischfang ist mit den beiden nachgewiesenen Arten Hecht und Huchen sicher unterrepräsentiert. Die wenig widerstandsfähigen Fischknochen scheinen im Fundgut selten auf und könnten erst durch planmäßige Grabungen in ausreichendem Maß nachgewiesen werden. Die Lage der Siedlungen an den fischreichen Seen, Funde von Angelhaken [nur aus AsCu!] und Netzsenkern lassen annehmen, dass die eiweißreiche Fischnahrung sicher eine wesentlichere Rolle gespielt hat, als derzeit im Fundmaterial zum Ausdruck kommt.
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Vogelknochen sind aufgrund ihrer geringen Größe und Brüchigkeit reine Zufallsfunde. Daher sind nur wenige Arten unserer reichen Vogelfauna nachgewiesen. Als Nahrung dürfte den Vögeln nur geringe Bedeutung zukommen. Das häufige Vorkommen von Sängern könnte auf Netzfängerei hinweisen, da sich die Tauchvögel auch heute noch des Öfteren in Stellnetzen verfangen.
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Die jungsteinzeitlichen Besiedler der Seeufer waren vorwiegend Bauern, die Jagd diente der zusätzlichen Fleischversorgung. Nur in Scharfling weist das Überwiegen von Wildtierknochen im Fundmaterial auf eine Dominanz der jägerischen Komponente, die möglicherweise auf die topographischen Verhältnisse zurückzuführen ist. In Scharfling stand für Landwirtschaft und Viehzucht nur ein relativ kleines Talbecken zur Verfügung. Für eine ausreichende Fleischversorgung musste daher der Jagd größere Aufmerksamkeit gewidmet werden als in den anderen Siedlungen.
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[[Datei: Pfeile_See.jpeg|thumb|260px| Mit Birkenteer geschäftete Pfeilspitze und Vogelpfeile]]
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Als Jagdgerät ist der Pfeil-Bogen nachgewiesen. Während er in der Schweiz durch zahlreiche Exemplare belegt ist, konnte in Österreich bisher nur ein Bogen in Misling II aufgefunden werden. Da seine Konservierung nicht abgeschlossen ist, können keine genauen Maße vorgelegt werden, doch entspricht er in etwa den Bogen der Schweiz, deren Länge zwischen 155 und 175 cm variiert, bei einer Durchschnittsgröße der Jäger von 165 cm. Pfeilspitzen wurden in großer Zahl gefunden, sie waren meist vollständig in den Schaft eingepecht. Doch auch hier fällt das Fehlen der in der Schweiz nachgewiesenen großen Variationsbreite auf, die auf bestimmte Jagdpraktiken schließen lässt.
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Alle bisher in England und der Schweiz aufgefundenen neolithischen Bogen bestanden aus Eibenholz. In Experimenten mit einem nachgebauten Bogen von 1,90 m Länge wurden Schussweiten bis 60 m erzielt. Das Original stammt aus der Zeit um 2800 v. Chr.
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Eine Verkürzung des Bogens auf 1,73 m erhöhte die Schussleistung auf 224 m. Bei Tests der Durchdringungskraft und des Tötungsvermögens eines solchen Bogens wurde ein laufender Rehbock mit einem einzigen, aus 75 m Entfernung abgeschossenen Pfeil erlegt. Der Pfeil durchdrang die Brust des Tieres und kam auf der anderen Seite wieder zum Vorschein. Obsidianspitzen, deren wellige Kanten besser schnitten, erwiesen sich als am wirksamsten [50].
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Im schweizerischen Neolithikum ist die Jagd mit Speeren mit langen, seitlich aufgebundenen Knochenspitzen belegt. Im österreichischen Fundmaterial fehlen diese Knochenspitzen mit seitlichem Dorn bisher vollkommen, doch könnte dies eine Fundlücke sein.
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Neben der Landwirtschaft gibt die Haustierhaltung der neolithischen Wirtschaft das Gepräge. In erster Linie deckten die Haustiere als „lebende Fleischkonserve“ den Fleischbedarf der Siedler, wobei auch anderen tierischen Produkten wie Milch und Wolle wesentliche Bedeutung zuzumessen ist. Neolithische Haustiere sind im Vergleich mit heutigen und den Wildformen eher kleine Tiere, aber keine Kümmerformen. Es gab keine bewusste und planmäßige Zucht, daher sind moderne Rassenbegriffe nicht anzuwenden. Es handelt sich bei den frühen Haustieren um Primitivrassen mit großer Variationsbreite.
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An Haustieren wurden – entsprechend ihrer Häufigkeit – nachgewiesen:
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Hausrind Bos primigenius f. taurus L. <br />
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Schaf Ovis ammon f. aries L. <br />
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Ziege Capra aegagrus f. hircus L. <br />
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Hausschwein Sus scrofa f. domestica <br />
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Hund Canis lupus f. familiaris L.
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Wichtigstes Wirtschaftstier war das Hausrind, das hauptsächlich als Fleischlieferant gehalten wurde. Der größte Teil der Tiere wurde im jugendlichen Alter geschlachtet, nur ein geringer Teil des Bestandes wurde zur Nachzucht über den Winter gebracht, da die Stallhaltung sicher Ernährungsprobleme mit sich brachte. In erster Linie ist an Fütterung mit Laub und Kräuterheu von aufgelassenen Äckern zu denken. Im Sommer wurde das Vieh auf Waldweiden und verunkrautete Rodungsflächen getrieben.
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Das Schaf stellt im Fundgut des Mondsees das zweitwichtigste Haustier dar, gefolgt von der Ziege. Eine hohe Schlachtrate an männlichen Jungtieren lässt auf vorwiegende Nutzung als Fleischlieferant schließen. Beim Schaf konnte die Haltung von Kastraten nachgewiesen werden, wodurch seine Rolle als Wollspender unterstrichen wird.
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Das Hausschwein dürfte aufgrund der für seine Haltung ungünstigen ökologischen Verhältnisse eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Der geringe Anteil der Eiche im Laubmischwald des Seengebietes und die daraus resultierenden Probleme einer Wintermast erklärt eine Schlachtung der meisten Tiere im ersten Herbst oder Winter nach einem Wurf.
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Der Hund ist der domestizierte Nachfahre des Wolfes. Die Meinung, dass ein Teil der Haushunde vom Goldschakal abstamme, konnte nicht aufrechterhalten werden. Der Hund kommt in den neolithischen Siedlungen sehr häufig vor und wurde nicht allein als Jagdgenosse gehalten. Das überwiegend junge Alter der Tiere, häufige Hack- und Schnittspuren an den Knochen sprechen dafür, dass Hundefleisch einen regelmäßigen Bestandteil des Speisezettels darstellte. In Fundmaterial des Mondsees ist der Hund das am schwächsten vertretene Haustier und gehört einer kleinen, primitiven Rasse an, sein Aussehen ähnelte den heutigen Spitzhunden.
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Die Viehzucht erfolgte auf der Grundlage bereits domestizierter, bei der Einwanderung mitgeführter oder eingehandelter Tiere. Der Hund gilt als ältester Begleiter des Menschen im europäischen Raum und kann als einziges Haustier in mesolithischen Kulturzusammenhang nachgewiesen werden. Schaf und Ziege, domestiziert aus der Bezoarziege bzw. verschiedenen Unterarten des Wildschafes, wurden aus Gebieten des südosteuropäischen Frühneolithikums eingeführt. Für Rind und Schwein wird ein sekundäres mitteleuropäisches Domestikationszentrum parallel zum südosteuropäischen Raum angenommen. Der bislang früheste Fund eines Hausrindes stammt aus der Zeit vor etwa 8500 Jahren aus Griechenland.
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==Die Landwirtschaft==
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Im 9. bis 6. vorchristlichen Jahrtausend fand in Kleinasien die Ausprägung typisch neolithischer Kultur- und Wirtschaftsformen statt. In Mitteleuropa vollzog sich der Wandel zu den frühesten Ackerbaukulturen – die „neolithische Revolution“ – mit all seinen umwälzenden Auswirkungen auf kulturelle, wirtschaftliche und soziale Strukturen erst im 5. Jahrtausend. Die Errichtung ständiger Ansiedlungen, die Züchtung von Haustieren und der Anbau von Nutzpflanzen bildeten die Grundlage neolithischer Lebensformen.
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Die Besiedler der Seeufer waren die ersten Kolonisten, die im 3. vorchristlichen Jahrtausend in die Wälder des Salzkammergutes eindrangen. Das neue Gerät dieser Zeit war die Lochaxt, erst sie ermöglichte großflächige Eingriffe in den Steinzeiturwald und seine Urbarisierung.
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Ein Pollendiagramm aus dem Egelsee bei Scharfling zeigt für diese Zeit ein deutliches Ansteigen der Nichtbaumpollen und damit den Beginn der Rodungstätigkeit. Diesem ersten Rodungsgipfel um etwa 2500 v. Chr. folgt ein deutliches Abfallen der Pollenkurve bis zur Zeitenwende, ebenso fehlen die kulturanzeigenden Unkräuter. Dies bedeutet für den Raum Scharfling eine Nichtbesiedlung oder einen Rückgang der Besiedlung in nachneolithischer Zeit.

Aktuelle Version vom 10. Oktober 2024, 01:30 Uhr

Offenberger 1981, Johann: Die "Pfahlbauten" der Salzkammergutseen


In: „Das Mondseeland – Geschichte und Kultur“; Ausstellungskatalog zur OÖ Landesausstellung 1981 in Schloss Mondsee. S. 295–357. Herausgeber: Kulturabteilung des Amtes der OÖ. Landesregierung

(Transkript aus Ausstellungkatalog mit schriftlicher Genehmigung Amt OÖ LReg vom 26.1.2024)
Anm.: Der Text wurde orthographisch aktualisiert.


Die Pfahlbauvorstellung des 19. Jahrhunderts

Die Untersuchung prähistorischer Siedlungsreste in den Seen des schweizerischen Mittellandes Mitte des 19. Jahrhunderts und ihre Deutung als Wasserpfahlbauten wirkte wie kaum eine andere Entdeckung der Urgeschichtsforschung auf die Phantasie von Forschern und Laien. Detailreiche Rekonstruktionen – Modelle, Gemälde und Zeichnungen – wurden in Fachpublikationen, Zeitungen, Kalendern und Schulbüchern veröffentlicht, trugen diese Vorstellungen in ein breites Publikum und machten sie zum Allgemeingut der Geschichte.

Der Streit um die Deutung dieser Siedlungen als Wasserpfahlbauten ist nie ganz erloschen. Erst in jüngster Zeit haben neue Forschungsergebnisse die Diskussion wieder in Gang gebracht. Die Auseinandersetzungen wurden zeitweilig nicht hinter verschlossenen Türen, sondern sehr emotional vor einer staunenden Öffentlichkeit abgehandelt. Anstatt wissenschaftlicher Argumente wurden persönliche Anfeindungen in die Diskussion getragen, die in den zwanziger Jahren – am Höhepunkt der Auseinandersetzungen – noch zusätzliche politische und nationale Motivationen erfuhr. Moderne Ausgrabungstechniken und die Beiziehung naturwissenschaftlicher Disziplinen zur Befundung der Grabungen haben dazu beigetragen, das Problem der Seeufer- und Feuchtbodensiedlungen distanzierter zu sehen und mit differenzierteren Methoden anzugehen.

Abb 1. Pfahlbausiedlung am Murtensee/Fr., A. Marxer um 1900.

Die Pfahlbaudarstellungen müssen vor dem Hintergrund ihrer Zeit betrachtet werden. Die ausgedehnten, dichten Pfahlfelder schienen ein Leben zwischen den Pfählen auszuschließen, sie konnten nur eine Plattform getragen haben. Reste von Holzkonstruktionen und Flechtwerkwänden wurden mit viel Phantasie zu Bauwerken ergänzt. Ethnographische Berichte und das Aussehen zeitgenössischer Boots- und Fischerhütten trugen zur Formung des Pfahlbaubildes bei. Noch unter dem Einfluss romantisierender Strömungen erlebten naturwissenschaftliche und archäologische Forschung auf dem Nährboden vaterländischer Begeisterung eine Blütezeit. In euphorischer Aufbruchstimmung war man der Meinung, das Pfahlbauproblem im Wesentlichen gelöst zu haben.

Der wissenschaftliche Fortschritt hat diese Vorstellungen überholt. Gemälde und Schulwandtafeln fristen meist ein verborgenes Dasein in Depots und Kellern. Unsere Zeit sollte sich auf ihren zeit- und forschungsgeschichtlichen Wert besinnen.

Zu Unrecht gilt meist der schweizerische Altertumsforscher Ferdinand Keller als Entdecker der Pfahlbauten. Erste Pfahlbaubeobachtungen stammen bereits aus dem 16. Jahrhundert. Im Jahr 1548 meldete Stumpf in seiner Schweizer Chronik, dass bei Arbon und Rohrschach im Bodensee „starke und breyte pfalment und maalzeichen starker gebeuwen“ auf dem Seegrund zu erkennen seien [1]. Vadian, Bürgermeister von St. Gallen und Rektor der Wiener Universität, deutete diese Pfahlfelder im „glaslauteren und stillen Wasser“ richtig als Überreste alter Siedlungen [2]. Im Jahr 1829 wurden erstmals an den Rändern des Zürcher Sees Pfahlfelder beobachtet [3], und1871/72 traten nach Absenkung des Seespiegels im Bielersee die Pfähle der Siedlungen Mörigen zu Tage [4]. Jedoch bereits 1843 war A. Jahn von Arbeitern auf das Pfahlwerk von Mörigen aufmerksam gemacht worden. Jahn beschrieb die Fundstelle als „uraltes Pfahlwerk von der Substruction einer bedeutenden Ansiedlung aus einer Zeit, wo der Wasserspiegel des Sees noch nicht die jetzige normale Höhe erreicht hatte“. Auch der Antiquar E. F. Müller erwähnt 1848 in seinem Briefwechsel mit F. Keller Funde aus den Pfahlwerken von Mörigen und Nidau-Steinberg. 1951 schreibt er an F. Keller über die Station Mörigen: „Diese bedeutenden Gebäulichkeiten müssen seiner Zeit durch ein bedeutendes Naturereignis, wovon die Geschichte nichts erwähnt, sich versenkt haben.“ Ing. W. R. Kutter hält in einer Schrift über „Die Juragewässerkorrektion des Jahres 1853“ fest, dass die Versumpfung des Seelandes erst in spätrömischer Zeit angefangen hätte und dass vorher der Wasserspiegel der Juraseen bedeutend tiefer gewesen sei [5]. Diese Untersuchungen führten in der Folge nicht nur zu Diskussionen um das Erstlingsrecht an der Entdeckung der Pfahlbauten, A. Jahn und E. G. Müller äußerten bereits sehr bestimmte Ansichten über Veränderungen der Niveaustände der Seen.

Im Jänner 1854 berichtet der Lehrer Äppli aus Obermeilen an F. Keller in Zürich: „Infolge der außerordentlichen Kälte während der Wintermonate von 1853 auf 1854 stellte sich im Alpengebiet die ungewöhnliche Erscheinung ein, dass sich die Flüsse ins Innere ihrer Bahn zurückzogen und die Spiegel der Seen bedeutend sanken, so dass an einem Orte ein breiter Strand das Schwinden des Wassers verkündete, am anderen eine nie gesehene Insel auftauchte …, dass man in dem vom Wasser verlassenen Seebette Überbleibsel menschlicher Tätigkeit aufgehoben habe, die geeignet seien, über den frühesten Zustand der Bewohner unserer Gegend unerwartetes Licht zu verbreiten.“

Im September des Jahres 1854 erschien aus der Feder F. Kellers der 1. Pfahlbaubericht, in dem er seine Interpretation der Siedlungsreste als Wasserpfahlbauten vortrug:

„… waren die Pfähle von Anfang an in den Seegrund eingetrieben und so lang, dass ihre oberen Spitzen bei jedem Stande des Wassers ein Paar Fuß aus demselben hervortraten! Sie bildeten in dichtem Wasser stehend und mit waagrecht liegenden Balken und Brettern bedeckt, ein festes Gerüste, einen Unterbau für die darauf zu erbauenden Wohnungen …“ Keller schließt mit den Sätzen: „Auf alle Beobachtungen uns stützend stehen wir nicht an, die Vermutung auszusprechen, dass die Erbauer der Seeansiedlungen ein Bruchtheil der keltohelvetischen Bevölkerung unseres Landes gewesen seien, glauben aber, dass die PFAHLBAUTEN, jedenfalls am Zürchersee, der vorhistorischen Zeit angehören …“ [6]. Die Priorität gebührt Keller nicht an der Entdeckung der Pfahlbauten – er selbst hat diese nie in Anspruch genommen –, wohl aber für die Interpretation dieser Siedlungen als Wassereinbauten.

Es lag in den Forschungsmethoden der damaligen Zeit begründet, dass zwar das Fundmaterial bereits relativchronologisch der Stein-, Bronze- oder Eisenzeit zugeordnet wurde, jedoch über die dazwischenliegenden Zeiträume keine genauen Vorstellungen bestanden. Die archäologischen Untersuchungen waren in erster Linie auf die Funde ausgerichtet, die Mehrphasigkeit der Siedlungen entging den Beobachtern. Die Unmenge an Pfählen konnte nach ihrer Vorstellung nur eine Plattform getragen haben. Detailfragen, wie diese Plattformen gebaut und die Hütten auf ihnen befestigt waren, ging man vorläufig nicht nach.

Keller kannte aus lokalen Überlieferungen die ins Wasser gebauten Fischerhütten in der Limmat und wahrscheinlich die Schilderung des Pfahlbaues im Otsego-See durch J. F. Cooper im „Wildtöter“. Seine Rekonstruktionszeichnung eines Pfahlbaudorfes lehnt sich jedoch deutlich an die Darstellung einer Siedlung an der Doreh-Bai in West-Neuguinea an, die in einem Reisebericht des französischen Marineoffiziers Dumont d´Urville im Jahr 1827 erschienen war. Keller führt Bericht und Abbildung ausdrücklich als Beweis für die Existenz von Wasserpfahlbauten an [7].

Abb 2. Erste Pfahlbaurekonstruktion F. Keller´s, 1854.

Noch zu Lebzeiten Kellers setzte nicht nur ein lebhafter Streit um die Namensgebung ein, indem sich Keller letztlich durchsetzte, es wurde auch seine Interpretation der Siedlungen als Wasserpfahlbauten nicht widerspruchslos hingenommen. Der Neuenburger Professor E. Desor verstieg sich sogar zu der Behauptung, die bronzezeitlichen Pfahlbauten seien phönizische Warenlager und Magazine gewesen [8]. Keller unterschied in seinem 3. Pfahlbaubericht bereits Moor- und Pfahlbauten. Er trennte die Moorsiedlungen als Packwerkbauten von seinen pfahlgetragenen Wasserbauten ab und beschrieb deren Unterbau als „… eine Masse von parallel und kreuzweise aufeinandergelegten Knitteln, deren unterste Schicht auf dem Seeboden ruht.“ [9]

F. Troyon wie auch spätere Forscher zogen antike Reisebeschreibungen und Darstellungen als Beweis für die Existenz von Pfahlbauten heran. Die klassische Schriftquelle ist Herodots Schilderung der Pfahlbauten der Pajonen im Prasiassee in Thrakien: „Auf Pfählen, die in großer Zahl in den Seegrund eingerammt waren, ruhte eine Plattform, die die einzelnen Häuser der Siedlung trug. Bei jeder Gründung eines neuen Haushaltes wurde die Plattform vergrößert. Sie ragte über den Seespiegel hinaus und enthielt Luken, durch die man Körbe ins Wasser hinabließ, um sie mit Fischen gefüllt wieder heraufzuziehen. Damit die Kinder nicht durch die Luken ins Wasser fallen konnten, band man sie wie die Schafe an den Füßen fest.“ [10]

1855 willigte F. Schwab ein, unter der Leitung von F. Keller eine Forschungsreise an den Prasiassee zu unternehmen, um jene „klassische Stelle“ zu erforschen, das Unternehmen kam jedoch nicht zustande. 1862 unternahm A. Morlot einen neuen Anlauf, ein französischer Gelehrter kam ihm aber zuvor, untersuchte noch im selben Jahr das Ufergelände des Sees und fand die Überreste der von Herodot beschriebenen Pfahlbauten [11].

Zwanzig Jahre später, 1875, ging die Forschung in Deutschland neue Wege. Grabungen in den Moorsiedlungen des Federseegebietes durch Frank und Paulus ergaben erste Hausgrundrisse. Weitere Ausgrabungen in den Mooren der Schweiz und Süddeutschlands zeigten den Forschern, dass die Fußböden der Häuser wiederholt erneuert wurden. In manchen Siedlungen wurden die Fußböden bei Erneuerung nicht entfernt, sodass die Ausgräber zeitweilig an schwimmende Flöße dachten. Diese frühen, schlecht befundeten Grabungen führten in der Literatur zum festen Begriff des „Packwerkbaues“.

In den Jahren 1919/20 gruben die Urgeschichtsforscher R. R. Schmidt und H. Reinerth in den Siedlungen des Federseemoores. Im Gegensatz zum Pfahlbaubegriff führten sie die Bezeichnung „Moorbau“ in die Literatur ein [12].

Anfang der zwanziger Jahre griff Reinerth die schweizerische Pfahlbautheorie heftig an und stellte die Behauptung auf, alle Pfahlbauten der Schweiz wären auf trockenem Land erbaut worden. Die Pfahlbauforscher spalteten sich in zwei Lager. Die Schweizer formierten sich unter Th. Ischer, der mit ethnographischem Beweismaterial und persönlichen Beobachtungen in den Juraseen gegen Reinerth auftrat. Der Genfer Naturforscher Prof. Rytz, der Paläobotaniker Prof. Tschumi und der Malakologe Dr. Favre bewiesen „mit absoluter Sicherheit“, dass die Seepfahlbauten im Wasser gestanden hatten [13].

Dr. D. Violier, der zunächst eine Annäherung an Reinerth gesucht hatte, stellte sich auf die Seite der Schweizer Forscher: „Unsere Pfahlbaustationen wurden tatsächlich ins Wasser hineingebaut. Das Vorhandensein von Brücken und Wellenbrechern erklärt sich damit von selbst.“

Die Diskussion artete in eine heftige Pressekampagne aus. Deutsche Zeitungen brachten als sensationelle Überschrift: „Die Pfahlbauten trockengelegt“, während Th. Ischer 1937/38 in Lüscherz zwei „Pfahlbaubrücken“ ausgrub und damit glaubte, die Pfahlbautheorie glänzend bewiesen zu haben. Der schwäbische Oberförster Staudacher behauptete, die Schweizer Pfahlbauten hätten wie die süddeutschen Moorbauten auf ebener Erde gelegen. Der Württemberger O. Paret suchte, wie Ischer formulierte, „mit der Selbstsicherheit eines Sektenpredigers in einem unverfrorenen Pamphlet die schweizerische Pfahlbauforschung unter dem höhnischen Titel: `Die Pfahlbauten – ein Nachruf´ lächerlich zu machen.“ O. Paret erklärte, noch niemand habe versucht, seine technischen Einwände gegen die Pfahlbauten zu widerlegen und Ischer antwortete ihm: „Der Pfahlbau kann nicht aus dem engen Horizont schwäbischer Moorsiedlungen, sondern nur von globalen Aspekten aus beurteilt werden“ und führte u. a. den auf Pfählen errichteten Spitalbau Albert Schweizers in Ogowe in Westafrika als Beweis an [14].

Die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus in Deutschland verlieh diesen Auseinandersetzungen noch einen politischen Hintergrund. H. Reinerth war als Reichsleiter des Amtes Vorgeschichte im Amt Rosenberg ein eifriger Vertreter nationalsozialistischen Gedankengutes. Für die Schweizer bedeutete das Festhalten an Kellers Pfahlbautheorie über jedes wissenschaftliche Anliegen hinaus einen Beweis nationaler Eigenständigkeit und Unabhängigkeit [15].

Anlässlich der Hundertjahrfeier der durch Keller eingeleiteten Pfahlbauforschung rollte E. Vogt das Pfahlbauproblem erneut auf: „Es ist in der Regel keine besonders erfreuliche Aufgabe, scheinbar feststehende Anschauungen als in wesentlichen Teilen revisionsbedürftig aufzuzeigen. Und dies besonders, wenn diese Ansichten im Geschichtsbild eines Volkes fest verankert sind. Hier kommt die rastlos vorwärtsstrebende Wissenschaft in Konflikt mit jenen, die überall definitive Resultate erwarten und die in einer neuen Erkenntnis nur das Falsche der früheren sehen.“ In seiner kritischen Arbeit kommt Vogt zu dem Schluss, dass bisher eindeutig nur ebenerdige Siedlungen nachgewiesen werden konnten [16].

Die rege Bautätigkeit der letzten Jahrzehnte zwang die Schweizer Denkmalpflege, gesetzliche Maßnahmen zum Schutz des archäologischen Erbes zu veranlassen. Bodendenkmäler mussten vor ihrer Beseitigung untersucht werden. Dies zwang aber auch die Archäologie zur Anwendung modernster technischer Hilfsmittel. R. Ruoff entwickelte in Zürich eine Methode der Unterwasserarchäologie. C. Strahm, M. Egloff, P. Suter, A. Furger und andere gruben im Neuenburger- und Bielersee, teils in Form von Trockenlegungen durch „Caissons“, teils unter Wasser und konnten mit neuen Ergebnissen aufwarten. C. Strahm kam zu dem Schluss, dass es doch Pfahlbauten gab, die zeitweilig trocken lagen, bei jahreszeitlich bedingten Seespiegelschwankungen jedoch vom Wasser umspült wurden [17]. In einem Aufsehen erregenden Grabungsbefund konnte R. Perini im Torfmoor von Fiave/Trentino drei Siedlungstypen, eine auf trockenem Boden erbaute Ufersiedlung, eine ins Wasser hinaus erweiterte Inselsiedlung und eine ganz außen im See erstellte echte Pfahlbausiedlung nachweisen [18]. Auch Deutschland meldete sich mit einem Bericht des Stuttgarter Archäologen H. Schlichtherle wieder zu Wort. Schlichtherles Ergebnisse aus der Siedlung „Hörnli I“ am Bodensee decken sich mit den Erkenntnissen Strahms [19].

Die modernen Grabungsbefunde sind mit den festgefahrenen Ansichten des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr in Einklang zu bringen. Sie beweisen eine äußerst differenzierte Bautechnik der jungsteinzeitlichen und frühbronzezeitlichen Besiedler der Feuchtböden und Strandplatten. Die Siedler verstanden es scheinbar ausgezeichnet, ungünstige naturräumliche Gegebenheiten mit technischem Geschick auszugleichen. Die modernen Siedlungsgrabungen zeigen aber auch, dass die anfallenden Probleme nicht allein mit archäologischen Methoden, sondern nur in Zusammenarbeit mit verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen zu lösen sind.

Andreas Freiherr von Baumgartner gebührt der Verdienst, die systematische Pfahlbauforschung in Österreich initiiert zu haben. Als Präsident der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften richtete er am 7. Juli 1864 eine Anfrage an die mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse, „ob es die Klasse nicht angezeigt fände, dass auch die österreichischen Seen hinsichtlich des Vorkommens von Pfahlbauten, die jetzt die Aufmerksamkeit der Naturforscher und Archäologen in so hohem Ausmaß erregen, einer Untersuchung unterworfen werden sollten“. Eine auf diesen Antrag hin eingesetzte Kommission beschloss drei Gruppen von Seen zu untersuchen: die Seen von Oberösterreich, jene von Kärnten und Krain und den Gardasee. Gleichzeitig wurde beschlossen, einen Schweizer Fischer, der schon in der Schweiz und in Bayern an Pfahlbauuntersuchungen mitgewirkt hatte, nach Österreich kommen zu lassen. Im März 1865 berichtete Freiherr von Sacken an den Vorsitzenden der Kommission: „… aus dem Gardasee aber kam eine solche Menge von Altertümern zum Vorschein, dass über den Bestand eines Pfahlbaues kaum ein Zweifel bestehen kann.“ Im April 1965 richtete er ein Gutachten an die Akademie der Wissenschaften, dessen Inhalt bis heute seine Gültigkeit bewahrt hat: „Es ist allgemein bekannt, welch große Bedeutung für die Kulturgeschichte die in den Seen der Schweiz und anderen Ländern entdeckten Pfahlbauten haben. Bei dem Umstande, dass sich unsere Kenntnis der Zustände der ältesten Bevölkerung Mitteleuropas fast ausschließlich auf die Überreste welche durch Funde zu Tage gefördert werden, gründet, verdient diese Entdeckung umso größere Beachtung, als die Auffindung der alten Wohnsitze mit ihren zahlreichen Artefakten, Resten der Wohnungen und Nahrungsmittel ein vollständigeres Bild der gesamten Lebensweise, der gewerblichen Tätigkeit, der Handelsverbindungen, kurz der Kulturstufe darstellt als selbst die sonst so lehrreichen Gräberfunde.“

Aufgrund dieses Gutachtens wurden weitere Untersuchungen in Oberösterreich und am Gardasee bewilligt. Zu diesem Zeitpunkt waren in der Schweiz und in Deutschland bereits weit über 200 Pfahlbausiedlungen entdeckt worden. Ein bezeichnendes Licht auf die angewandten Untersuchungsmethoden wirft der Beschluss, die Akademie möge sich an das k. u. k. Kriegsministerium um Erlaubnis zur Benützung einer auf dem Gardasee stehenden Baggermaschine wenden. Der Beschluss kam nicht zur Ausführung, da im Juli 1866 Venetien an Italien abgetreten werden musste.

Bereits im Juli 1863 hatte A. von Morlot, Professor der Geologie, der sich – angeregt von Troyon und Keller – der Archäologie widmete, bei einem Vortrag in Wien die Ansicht geäußert, dass Pfahlbauten notwendig auch in den Ostalpen zu finden sein müssten. Über seine Initiative forderte die K.K. Zentralkommission für die Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale, die Vorgängerinstitution des Bundesdenkmalamtes, 1864 jene „Conservatoren, in deren Bezirken sich Alpenseen befinden“ auf, „nähere Untersuchungen zu pflegen, ob sich nicht in den Seen der österreichischen Alpenländer Spuren ähnlicher Bauten vorfinden oder nachweisen lassen.“

Obwohl eine Suche Morlots nach Pfahlbauten in den Kärntner Seen erfolglos verlaufen war, führte der Kärntner Geschichtsverein 1864 eigene Untersuchungen durch, die trotz hohem Wasserstand von Erfolg begleitet waren und zur Auffindung eines Pfahlbaues im Keutschacher See führten.

Im Sommer 1864 suchte der Wiener Ichthyologe und Geologe R. Kner im Salzkammergut nach Pfahlbauten. Im Niedertrumer, Waller und Hallstätter See blieb er ohne Erfolg, in der Nähe von St. Lorenz stellte er im Mondsee Hunderte von „Pfählen“ fest, die jedoch nachträglich als versunkener Wald erkannt wurden. Im Attersee bezeichnete Kner die Stelle zwischen Teufelsbrücke und Attersee als verdächtig und vermutete, dass die Schlösser Litzlberg und Kammer auf einem Pfahlrost stünden. In Litzlberg glaubte er zwischen den mittelalterlichen Pfählen auch ältere entdeckt zu haben. F. von Simony, Mitglied der 1870 gegründeten Anthropologischen Gesellschaft, bezeichnete diese Gebiete als „hoffnungsreichste Punkte“. J. Ullepitsch fuhr auf einem Schraubendampfer – die Kraftschifffahrt besteht seit 1869 am Attersee – als „selbiger an einen der zahlreichen Pfähle anrannte und etwas umkippte“. Einer Volkssage nach stehen zwischen Kammer und dem Agerausfluss Pfähle „zum Anbinden der Schiffe“ im See. Ullepitsch regte daher eine Untersuchung der seichten Uferzonen an.

Im August 1870 begann Gundaker Graf Wurmbrand mit Untersuchungen bei Seewalchen. Auf Anhieb entdeckte er „unförmliche dicke Scherbenstücke mit ganz grobem Quarzsandgemenge und unter dem Gerölle des Seebodens von ein bis eineinhalb Fuß die Kulturschichte“. Somit war am 25. August 1870 der erste Pfahlbau auf österreichischem Boden entdeckt. Nun ging es Schlag auf Schlag.

Im Traunsee wurden zwei Pfahlbauten entdeckt, kurz darauf im Attersee weitere drei.

Abb 3. Rekonstruktion eines Pfahlbaues am Mondsee. M. Much 1884.

1872 entdeckte der „Altmeister der prähistorischen Forschung in Österreich“, Matthäus Much, einen Pfahlbau beim Ausfluss der Seeache aus dem Mondsee und 1874 den Pfahlbau von Scharfling. Im Fuschlsee glaubte Much einen Packwerkbau entdeckt zu haben. Nach dem Vorbild der Schweizer Pfahlbaurekonstruktionen versuchte sich auch M. Much an der zeichnerischen Rekonstruktion eines Pfahlbaus im Mondsee.

Mitte der achtziger Jahre beginnt eine Phase der Stagnation in der österreichischen Pfahlbauforschung. Bis dahin waren sechs Stationen im Attersee, zwei im Mondsee und zwei im Traunsee bekannt.

Vor und nach dem Ersten Weltkrieg waren es vor allem zwei Fischer, Wang und später auch Wendl, die neue Stationen im Attersee entdeckten und durch Baggerungen gewonnene Funde kommerziell verwerteten. Als Aufkäufer traten Privatsammler auf, besonders der Industrielle M. Schmidt, aber auch das Heimathaus Vöcklabruck und das Naturhistorische Museum in Wien. Schmidt besaß die umfangreichste Sammlung an Pfahlbaufunden. Sie war in Ungarn gelagert und ging in den Wirren des Zweiten Weltkriegs zugrunde.

Noch knapp vor dem Ersten Weltkrieg wurde vom Verein „Deutsche Heimat“ im „Sturmwinkel“, einer kleinen Bucht bei der Ortschaft Kammerl das erste Pfahlbaufreilichtmuseum errichtet. Der Pfahlbau bestand aus fünf Hütten, die auf einem von 329 Piloten getragenen Pfahlrost standen. Die Hütten waren mit dem Ufer durch einen 40 Meter langen Steg verbunden. Nach Kriegsende war der Pfahlbau verfallen, eine Rettung aus finanziellen Gründen nicht möglich. 1922 wurde die Pfahlbaurekonstruktion für Aufnahmen zu dem Film „Sterbende Völker“ niedergebrannt. Auf dasselbe Jahr gehen die Anfänge des bekannten Freilichtmuseums Deutscher Vorzeit in Unteruhldingen am Bodensee zurück.

Im Jahr 1937 wurde in Mondsee ein Aktionskomitee gegründet, um die Pfahlbauforschung „auf wissenschaftlicher Grundlage und mit modernen Mitteln“ vorzunehmen. Ziel des Unternehmens war die Trockenlegung und Ausgrabung eines Pfahlbaues mit Hilfe eines Kastenfangdammes. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges vereitelte jedoch dieses Vorhaben [20].

Methoden und Technik der Pfahlbauforschung

Wie nicht anders zu erwarten, wurden die frühesten Techniken zur Bergung von Funden aus den Pfahlbauten in der Schweiz entwickelt. Bis in die jüngste Zeit wurde die Fundsuche und -bergung von Booten aus durchgeführt. T. Ischer beschrieb die Methode, die bereits E. Müller und F. Schwab 1843 im Bielersee anwandten. Mit einer langen Stange wurde der Seeboden aufgewühlt und – sobald sich der Schlamm gelegt hatte – nach Funden abgesucht. Über den Funden wurde das Boot an einer im Seeboden befestigten Stange verankert, und die Funde wurden mittels einer eigens konstruierten Zange gehoben. Zerbrechliche Gegenstände wurden in einem Schleppnetz an Bord geholt [21]. Später wurde die Zange verbessert und mit einer Feder und Zugdraht versehen. Ergänzt wurde die Arbeit mit der Zange durch eine Baggerschaufel, auch Scharrlöffel genannt, mit der Teile der Kulturschicht in das Boot gehoben und nach Funden abgesucht wurden. Die aus einem rechteckigen Blech mit Löchern zum Abrinnen des Wassers bestehende Schaufel war an drei Rändern aufgebörtelt und über eine Tülle an einer langen Stange befestigt. Sie wurde mit der Spitze voraus ins Wasser geworfen und – sobald sie Grund gefasst hatte – durch den Boden gezogen.

Diese Geräte wurden auch von den österreichischen Pfahlbauforschern mit einigen Änderungen übernommen. M. Much erdachte für seine Untersuchungen im Mond- und Attersee ein Baggerrohr oder „Schlammstecher“ zur Entnahme von Bodenproben. Ein Eisenrohr von 15 cm Durchmesser war am oberen Ende verschlossen und mit einem Ventil versehen. Das Rohr wurde mit geöffnetem Ventil in den Boden gestoßen, schloss man es und zog das Rohr aus dem Boden, blieb die Probe durch das entstehende Vakuum im Rohr.

Auf demselben Prinzip basierend wurden hundert Jahre später die bei den Pfahlbauuntersuchungen des Bundesdenkmalamtes verwendeten Unterwasserbohrgeräte entwickelt. Da die Vakuummethode immer mit einem hohen Verlust an Probenmaterial verbunden war, wurde der Unterteil des Bohrgerätes mit einer selbstschließenden Klappe versehen. Um das Einschlagen zu erleichtern – die elastische Kulturschichte mit einem hohen Anteil an Astwerk wurde oft durch das Rohr in die weiche Seekreide gedrückt und nicht aufgenommen – wurde das Rohrende lanzettförmig ausgebildet. Das Rohr selbst besteht aus zwei ineinandergreifenden Halbschalen. Wenn es in geöffnetem Zustand in den Boden gedrückt wird, schneidet es leicht durch die Kulturschicht. Im Boden werden die Schalen durch einen Hebel geschlossen, die Probe gehoben.

Um den Boden aufzuwühlen, arbeitete der Fischer Wang mit einem „Kraller“ oder er ließ sein Boot um eine Boje schwojen und zog zwei an einer langen Kette befestigte Eisenplatten über den Seegrund.

Diese „Methoden“ zielten ausschließlich auf die Gewinnung von Fundmaterial. Sie wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von namhaften Wissenschaftlern als „Altertumsfischerei“, „Laienpfuscherei“ und „Raubbau mit der Baggerschaufel“ verurteilt [27].

Alle Beobachtungen über die Ausdehnung von Pfahlbaustationen waren bisher von Booten aus gemacht worden. K. Krenn, Leiter der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien versuchte im Herbst 1947 bei sehr niedrigem Wasserstand in der Siedlung Seewalchen/Attersee erstmals, eine genauere Vermessung durchzuführen. Der Seeboden wurde streifenweise abgesucht, herausragende Pfahlköpfe durch in das morsche Holz getriebene Latten markiert und durch zwei Geometer vom Ufer her eingemessen. In drei anstrengenden Arbeitstagen wurden 50 Pfähle markiert, dann mussten die Arbeiten der ungünstigen Witterung wegen abgebrochen werden; doch bereits dieser mit untauglichen Mitteln vorgenommene Versuch einer genaueren Vermessung ergab wesentliche Abweichungen zu früheren Beobachtungen. Zum Vergleich sei hier vorweggenommen, dass bei der Untersuchung der Station Misling II durch Taucher in den Jahren 1973/76 rund 19.000 Pfähle vermessen wurden.

Mit der Erfindung der Aqualunge durch J. Cousteau und die Popularisierung des Tauchsports durch H. Hass begann auch für die Unterwasserarchäologie eine neue Ära. Den „Fischmenschen“ schienen alle Voraussetzungen gegeben, die Methoden der Landarchäologie in den Unterwasserbereich zu übertragen und damit eine optimale Befundung der archäologischen Objekte zu erreichen. In nur zwanzigjähriger Forschungstätigkeit wurden komplizierteste technische Einrichtungen entwickelt, um den Archäologen die Arbeit unter Wasser zu erleichtern. Die Ausrüstung reicht von Messgittern mit auf Schienen montierten Stereokameras über Absaugvorrichtungen und Hebeballons bis zum Unterwassertelefonhäuschen und Miniunterseebooten mit Sonaranlagen, Stroboskoplampen und Fernsehkameras.

Abb 4. Erste Tauchgrabung am 24.8.1854 im Genfer See
(Morges) durch Charles Adolphe Morlot (1820–1867).

Die Geschichte der Unterwasserarchäologie reicht jedoch wesentlich weiter zurück. Im Mai 1854 fand die wahrscheinlich erste Unterwassergrabung der Welt in Morges am Genfer See statt. Begleitet von F. Troyon und F. Forel stieg A. v. Morlot mit einem selbst konstruieren Taucherhelm von einem Boot aus über eine Leiter auf den Seegrund. Er schrieb darüber an Keller [23]:

„Mein Tauchapparat ist vollständig gerathen.
Da unten aber ist´s fürchterlich
und der Mensch begehre nimmer zu schauen
was die Götter bedecken mit Nacht und Grauen.
Jedenfalls war´s ergreifend poetisch inmitten dieser uralten Pfähle im bläulichen Dämmerlicht zu stehen.“

Der Tauchapparat kam nie mehr wieder zum Einsatz.

In den Jahren 1950/51 hielt die „moderne Tauchtechnik“ Einzug in die österreichische Pfahlbauforschung. Ein Amateurtaucher, K. Schäfer aus Wien – ausgerüstet mit Taucherbrille und Gummiflossen –, versuchte zusammen mit K. Willvonseder im Mond- und Attersee Beobachtungen anzustellen. Schlechtes Wetter, niedrige Wassertemperaturen und eine Ausrüstung, die nur einen sehr beschränkten Aufenthalt unter Wasser zuließ, gestalteten das Unternehmen nicht sehr aussichtsreich.

Dennoch gelang es G. Mossler von der Abteilung für Bodendenkmalpflege des Bundesdenkmalamtes im Jahr darauf, mit Unterstützung eben dieses Tauchers, von einem Arbeitsfloß aus die erste Vermessung eines Pfahlbaues im Keutschacher See durchzuführen, die wissenschaftlichen Erfordernissen gerecht wurde [24].

Das Verdienst, erstmals Taucher mit modernen Pressluftgeräten zum Einsatz gebracht zu haben, gebührt W. Kunze, dem Leiter des Mondseer Heimathauses. In den Jahren 1960/63 wurde unter der Patronanz von J. Reitinger umfangreiches Fundmaterial aus der Station See geborgen und eine Umrissvermessung durchgeführt. Diese Tauchuntersuchungen erbrachten erste Hinweise darauf, dass die Pfahlbausiedlungen ursprünglich am trockenen Land errichtet worden waren. Die Untersuchungsmethoden waren noch verhältnismäßig einfach. Die Taucher schaufelten die fundführende Kulturschicht in vorbereitete Kisten, die mit einer Winde auf ein Arbeitsfloß gezogen wurden. Dort wurde das Material gesiebt und nach Funden untersucht [25].

Im Jahr 1969 erreichten die Abt. f. Bodendenkmalpflege des Bundesdenkmalamtes erstmals Nachrichten über die Plünderung der Pfahlbausiedlungen durch Sporttaucher. Die eingeleiteten Erhebungen ergaben zusätzlich eine wesentliche Beeinträchtigung des Bestandes durch technische Eingriffe und die Schifffahrt. Es wurde daher beschlossen, eigene Tauchuntersuchungen durchzuführen um einerseits eine systematische Bestandsaufnahme aller historischen Objekte in den Salzkammergutseen in die Wege zu leiten, andererseits eine detailgerechte Dokumentation gefährdeter Objekte vorzunehmen.

Als die Vermessungsarbeiten 1970 mit einer Gruppe von Sporttauchern begonnen wurden, konnte auf keinerlei Erfahrungen in der Binnengewässerarchäologie zurückgegriffen werden. Die von Meeresarchäologen unter günstigsten Sichtbedingungen erarbeiteten Vermessungsmethoden versagen im trüben Wasser der Salzkammergutseen. So wurden in ständigen Rücksprachen mit den Tauchern eigene Techniken entwickelt und laufend verbessert [26].

Die Pfahlbauuntersuchungen des Bundesdenkmalamtes

Die Bestandsaufnahme

Die Bestandsaufnahme aller historischen Objekte im Unterwasserbereich der Salzkammergutseen ist die derzeit vordringlichste Aufgabe der Bundesdenkmalpflege. Über Jahrtausende hinweg bis in jüngste Zeit wurden die Seen als Mülldeponien verwendet. Dieses ursprünglich als wertlos weggeworfene Material, aber auch die verschiedenen Wassereinbauten stellen eine Fundgrube nicht nur für Prähistoriker, sondern auch für Historiker, für Realien- und Volkskunde dar. Aus diesem Grund können und dürfen denkmalpflegerische Maßnahmen in den Seen nicht auf die prähistorischen Pfahlbauten beschränkt bleiben. Vor allem dann nicht, wenn bereits von privater Seite Bestrebungen unternommen werden, das historische Fundinventar kommerziell auszuwerten [27].

Nach organisatorischen Schwierigkeiten in den ersten Jahren wird die Bestandsaufnahme seit vier Jahren von einem oberösterreichischen Tauchklub, dem „UTC Wels“, durchgeführt [28]. Die konsequente und systematische Absuche des Seegrundes bis 10 m Tiefe führte bereits zu erstaunlichen Erfolgen.

Die Absuche gestaltet sich durch die schlechten Sichtverhältnisse in den oberösterreichischen Seen äußerst schwierig. Im Mond- und Hallstätter See beträgt die Sichtweite im Sommer in 3 bis 5 m Tiefe 1 bis 1 ½ m, im Attersee unter günstigen Bedingungen bis zu 2 m. In allen Seen ist der Boden mit einer rezenten Schlammschicht bedeckt, die kaum eine Unterscheidung zwischen Pfählen und Steinen zulässt. Genauigkeit und Erfahrung sind unter diesen Umständen ausschlaggebend für den Erfolg.

Entsprechend der Topographie des Seebodens kommen verschiedene Methoden der Absuche zur Anwendung. Weit in den See hinausreichende flache Uferplatten werden mit Hilfe eines UW-Kompasses abgesucht. Eine Gruppe von Tauchern sucht das Gebiet Streifen für Streifen mit jeweils geänderten Kompassmarschzahlen ab. Stärker fallende Uferpartien werden entlang bestimmter Tiefenschichtlinien, die mit dem Tiefenmesser kontrolliert werden, abgesucht. Bei sehr schlechten Sichtbedingungen sind die Taucher durch ein Seil miteinander verbunden, die beiden äußersten Taucher kontrollieren Richtung und Tiefe.

Als erster See wurde der Mondsee vollständig abgesucht. Neben dem bekannten Pfahlbau See am Ausfluss des Mondsees wurde ein bisher unbekannter in der Bucht von Mooswinkel aufgefunden und der Pfahlbau von Scharfling „wiederentdeckt“, er galt als durch Schottergewinnung zerstört [29].

Die Absuche im Fuschlsee blieb erfolglos. Nur der von M. Much untersuche Packwerkbau wurde lokalisiert und vermessen [30]. Die Anlage – nach Much durch einen schmalen Kanal vom Land getrennt – ist heute vollständig verlandet. Sie war ursprünglich kreisrund mit einem Durchmesser von 60 m. Durch Übereinanderschichten von mit Pfählen im Boden fixiertem Astwerk war eine künstliche Insel errichtet worden. Die Radiocarbondatierung einer Holzprobe ergab ein Alter der Anlage von 1430 ± 90 v. h. = 520 AC Jahren. Der Packwerkbau ist die bislang einzige Anlage dieser Art in Österreich.

Für Irrsee und Hallstätter See ist der Bau einer Ringkanalisation in den nächsten Jahren geplant. Durch die Koordinierung der Planung von Bundesdenkmalamt, Amt der oberösterreichischen Landesregierung und Architektenbüro konnte die Bestandsaufnahme ohne Behinderung der Bauarbeiten rechtzeitig durchgeführt werden [31].

Am Südostende des Irrsees wurde in ungefähr 3 m Tiefe ein Blockbau lokalisiert. Der Bau, dessen unterste Balkenlagen noch erhalten sind, misst etwa 1,60x2,20 m im Quadrat und wurde mit senkrechten Stehern, die mit den Balken verdübelt sind, am Boden befestigt. Im Inneren war er mit einem massiven Fußboden ausgestattet. Die Radiocarbondatierung ergab ein Alter von 350 ± 80 v. h. = 1600 AC Jahren.

Auch im Hallstätter See wurden keine prähistorischen Objekte aufgefunden. Am Nordende des Hallstätter Sees wurde der bereits bekannte mittelalterliche Pfahlbau bei Steeg neu vermessen. Eine zu einem unregelmäßigen Viereck angeordnete Außenpalisade im Ausmaß von ungefähr 32x36 m umschließt 9x8 Reihen von Pfählen, die vermutlich eine Plattform getragen haben. Die Radiocarbondatierung gibt das Alter mit 500 ± 80 v. h. = 1450 AC Jahren an. Weitere wahrscheinlich zum Teil mittelalterliche Holzeinbauten wurden beim Gosauzwang, dem ehemaligen „Gosaurechen“ entdeckt. Auf senkrechten Stehern wurde eine mit dem Land verzahnte Rahmenkonstruktion errichtet und mit Schotter aufgefüllt. Die Anlage diente als Anlegestelle und Verladeplatz für den Holztransport nach Hallstatt.

Südlich von Hallstatt, beim sogenannten „Hirschbrunn“ – einem vom Dachsteingletscher gespeisten Quellgebiet – wurde ein in den Fels gemeißelter Stollen vermessen. Der Fund einer römischen Münze im vorigen Jahrhundert und ein mittelalterlicher Bericht über einen Schatzfund an dieser Stelle lassen es möglich erscheinen, dass hier ein Quellheiligtum bestanden hat.

Abb 5.Die Seeufersiedlungen des Salzkammergutes.

Im Attersee wurden im Zuge der Bestandsaufnahme vier bekannte und sechs bisher unbekannte neolithische Siedlungen, eine latenezeitliche Siedlung, mittelalterliche und frühmittelalterliche Pfahlsetzungen um Schloss Litzlberg sowie eine römische Hafenanlage bei Weyregg kartographisch erfasst [32]. Mit der Siedlung Aufham wurde die größte bisher aufgefundene Siedlung vermessen. Die Längsausdehnung der Siedlung beträgt 420 m, sie bedeckt ein Areal von rund 15.000 m². Rund um Schloss Litzlberg wurden neben einer neolithischen Siedlung auch frühmittelalterliche Pfahlreihen vermessen. Die „Litzlburg“ wird erstmals im 14. Jahrhundert als Mondseer Lehen urkundlich erwähnt. Die Radiocarbondatierung der Pfähle mit einem Alter von 910 ± 80 v. h. = 1040 AC Jahren stellt die Anfänge der in das 11. Jahrhundert. Bei Weyregg wurden Steinwälle entdeckt, die vom Ufer rund 40 bis 50 m in Form eines unregelmäßigen Trapezes ins Wasserlaufen. Die Steinwälle waren ursprünglich auf beiden Seiten mit mächtigen Lärchenstämmen befestigt, zwischen denen die Steine aufgeschüttet worden waren. Die seeseitige Mole war noch durch eine Reihe Wellenbrecher geschützt. Nach einer C14-Datierung wurden die Molen im 3. nachchristlichen Jahrhundert errichtet.

Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme durch Sporttaucher haben alle Erwartungen übertroffen. Durch persönliche Initiative bei der Erarbeitung neuer Such- und Messmethoden und durch beispielhaften Einsatz selbst bei Minusgraden und Schneefällen – wenn es durch dringende Bauvorhaben erforderlich war – erarbeiteten die Taucher Unterlagen für die Denkmalpflege und spätere Forschungsvorhaben [33].

Die detailgerechte Vermessung

Diese Vermessungsmethode gewährleistet eine genaue Aufnahme des archäologischen Oberflächenbefundes. Sie wird dort angewendet, wo durch Ausschwemmungen oder andere Umstände eine Veränderung des derzeitigen Bestandes eintritt und bildet zusammen mit der Aufnahme von Hausgrundrissen und Siedlungszentren die Grundlage für spätere Trockenlegungen und Ausgrabungen. Auch diese Methode wurde in langjährigen Versuchen erarbeitet und erprobt. Insgesamt wurden drei Siedlungen – Mooswinkel und Scharfling im Mondsee und Misling II bei Unterach im Attersee – detailgerecht vermessen.

Abb 6. Umrissvermessung der Siedlung Litzlberg-Süd.

Die Pfähle der Siedlung Mooswinkel wurden noch mittels langer, nach einem Farbcode nummerierter Bojen an die Wasseroberfläche projiziert und die Bojen von Land aus eingemessen. Diese Vermessungsmethode war jedoch unbefriedigend, die Fehlerquelle zu groß, die archäologische Befundung konnte nur ungenügend vorgenommen werden.

Die Vermessung der Station Scharfling wurde daher zur Gänze auf eine zeichnerische Aufmessung unter Wasser umgestellt. Über das gesamte Pfahlfeld wurde ein Netz mit einem Meter Maschenweite ausgespannt und jeder Quadrant im Maßstab 1 : 10 auf wasserfestes Papier gezeichnet. An Land wurden die Zeichnungen in einen Grundplan im Maßstab 1 : 100 übertragen. Diese Methode war vom vermessungstechnischen Standpunkt annehmbar und sicherte eine genaue Aufnahme des Seebodens mit allen erforderlichen Details. Einen Nachteil stellte die Verletzlichkeit des riesigen 110x28 m großen Netzes dar.

Daher wurde für die Vermessung der Siedlung Misling II ein aus 5 m langen Plastikrohren zusammengesetzter Rohrrahmen konstruiert, der unter Wasser mittels Kupplungen zusammengesetzt wird. Innerhalb des Rahmens wird ein Schnurnetz ausgespannt. Nach Beendigung der Vermessung wird der Rahmen entlang einer durch zwei Hilfspunkte fixierten Grundlinie neu aufgebaut. Damit wurde eine für die Oberflächenvermessung optimale Methode mit einer Fehlerquelle von nur 5 bis 10 cm entwickelt.

Die Beiziehung naturwissenschaftlicher Disziplinen zur Untersuchung von Fundstätten im feuchten Siedlungsbereich ist heute unerlässlich. Ein gezieltes Forschungsprogramm ist jedoch nur im Rahmen der Detailvermessung möglich und scheiterte bisher an der Finanzierung. Die bisher vorgenommenen Bestimmungen müssen als Einzeluntersuchungen gesehen werden und können damit nicht als allgemeingültig für die Klärung der Pfahlbauproblematik herangezogen werden. Im Besonderen trifft dies für das archäologische und zoologische Fundmaterial zu, das ausschließlich aus Aufsammlungen vom Seeboden stammt und daher kaum Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann.

Für die absolutchronologische Bestimmung der Pfahlbausiedlungen wurden 15 Holzproben für eine Radiocarbondatierung entnommen. Die ältesten Daten stammen aus den Stationen See und Scharfling im Mondsee:

Mondsee, Station See VRI- 37 4910 ± 130 v. h. = 2980 BC
Mondsee, Station See VRI- 68 4750 ± 90 v. h. = 2800 BC
Mondsee, Scharfling VRI-311 4980 ± 120 v. h. = 2990 BC
Mondsee, Scharfling VRI-313 4660 ± 90 v. h. = 2710 BC

An diese Datierungen schließen die Daten von Mooswinkel/Mondsee, Misling II/Attersee und eine Bestimmung der neuentdeckten Station Kammer/Attersee an:

Mondsee, Moosw. VRI-250 4560 ± 100 v. h. = 2610 BC
Mondsee, Moosw. VRI-332 4260 ± 90 v. h. = 2310 BC
Attersee, Misling II VRI-356 4710 ± 90 v, h. = 2760 BC
Attersee, Misling II VRI-335 4390 ± 90 v. h. = 2440 BC
Attersee, Kammer VRI-687 4420 ± 100 v. h. = 2470 BC

Während sich die Bestimmung der Probe Kammer gut in die Datierungen der Proben aus den Stationen Mooswinkel und Misling II einpasst, scheinen die Datierungen aus den Stationen See und Scharfling zu hoch gegriffen und bedürfen einer Überprüfung. Vor allem aber sind die bisherigen Datierungen im Hinblick auf die Siedlungsdauer unbefriedigend. Einerseits lassen frühere Funde aus dem Attersee [34], der Fund einer Kupfernadel mit schräger Bohrung an der Siedlung Misling II und die Interpretation von Schäftungsresten aus der Station See durch R. Pittioni [35] ein Überdauern der Mondseekultur bis weit in die Bronzezeit möglich erscheinen. Andererseits weist das bisher geborgene Keramikinventar ein geschlossenes Formengut auf. Das Überleben einer Kulturform ohne äußere Einflüsse über einen – durch absolut- und relativchronologische Datierungen möglichen – Zeiraum von über 1000 Jahren scheint nicht denkbar.

Die Frage nach der Umwelt des prähistorischen Menschen steht heute immer mehr im Vordergrund. Die Kulturschichten der Feuchtbodensiedlungen liefern dazu reichhaltiges Material. Makrorestuntersuchungen, Pollenanalysen und stratigraphische Analysen tragen wesentlich zur Klärung der Klima- und Vegetationsgeschichte sowie auch der Siedlungslage und Agrartechnik bei. In den Jahren 1973 bis 1978 wurden Untersuchungen von Einzelproben aus den Siedlungen Misling II/A., Weyregg-Landungssteg/A., Scharfling/M. und Mooswinkel/M. angestellt [36]. Die pollenanalytischen Untersuchungen stellen die Siedlungen des Atter- und Mondsees in das ausgehende Atlantikum – in die Zeit von 3000 bis 2400 v. Chr. – und bestätigen damit die Ergebnisse der Radiocarbondatierungen.

Wertvolle Erkenntnisse erbrachte die Untersuchung des gesamten bisher aufgesammelten Tierknochenmaterials aus dem Mondsee. Aus drei verschiedenen Sammlungsbeständen wurden insgesamt 11.337 Einzelstücke bestimmt. Teile des Materials stammen von Oberflächenaufsammlungen (Scharfling), stellen daher eine durch die schlechten Sichtverhältnisse bedingte Auslese dar und sind nicht unbedingt repräsentativ für die quantitative Zusammensetzung des Faunenbestandes [37].

Der Untersuchung von Holzresten als dem Bauelement der prähistorischen Siedler – sonst kaum oder nur in Spuren vorhanden – kommt bei der Erforschung der Pfahlbausiedlungen besondere Bedeutung zu. Erste Untersuchungen von pflanzlichen Resten wurden anhand von Material aus der Station See/M. durchgeführt [38]. Die Holzproben wurden jedoch von der Wasseroberfläche aus mit Greifzangen geborgen, so dass die Wahrscheinlichkeit der Bestimmung „fremder“ Hölzer relativ hoch ist; vor allem nachdem neuere Analysen wenig Übereinstimmung zeigen. Durch K. Vymazal wurden 1975/76 rund 50 Pfähle aus der Station Attersee/Landungssteg und weitere 102 Pfähle aus der Station Misling II nach ihrer Holzart bestimmt. Die Pfähle sind, soweit sie aus dem Seeboden ragen, kegelförmig oder flach abkorrodiert und braun bis dunkelbraun gefärbt. Der im Seeboden steckende Teil ist meist hellgelb bis hellgrau, das Holz weich und schwammig. Die Lagerung am Seegrund hat das Holz zwar erhalten, aber doch Veränderungen der Holzstruktur bewirkt, die eine Bestimmung der Holzart erschweren [39]. Die Holzartenuntersuchung ergab auffallende Unterschiede in der Auswahl des Bauholzes. In Misling II/A. wurden hauptsächlich Fichtenstämme verwendet. In der nur 10 km entfernten Siedlung Attersee/Landungssteg dominiert die Esche.

Die petrographische Bestimmung des Steinmaterials aus den Stationen Mooswinkel/M., Scharfling/M. und Misling II/A. lässt vorläufig noch keine Beziehungen zu anderen Fundstellen erkennen. Zum größten Teil stammt das verwendete Steinmaterial aus der unmittelbaren Umgebung der Fundstellen oder aus dem alpinen Bereich, vermutlich den Flussschottern des Alpenraumes. Nur Objekte aus Plattensilex und Feuerstein müssen als ortsfremdes – gehandeltes – Material angesehen werden.

Die Umwelt der Seeufersiedler

Die Klimaschwankungen

Abb 7: Klimatabelle: gez. von cand.phil. Martina Kaltenegger.

Die Lebens- und Siedlungsbedingungen des urgeschichtlichen Menschen waren in hohem Maß von den naturräumlichen Gegebenheiten abhängig. Diese Voraussetzungen lassen sich heute nach fast 50jähriger pollenanalytischer Forschung weitestgehend rekonstruieren. Für fast alle Landschaften Mitteleuropas ermöglichen Pollendiagramme die Interpretation der postglazialen Vegetationsentwicklung und damit auch der klimageschichtlichen Entwicklung.

Die frühpostglaziale Klimaverbesserung führte zu einer raschen Wiederbewaldung des mitteleuropäischen Raumes mit Birke und Kiefer, in weiterer Folge zu einer Massenverbreitung der Hasel. In der Zeit des Klimaoptimums, der postglazialen Wärmezeit, stockte ein Eichenmischwald mit Hasel, Linde und Ulme, der im ausgehenden Atlantikum im Übergang zum Subboreal (Nachwärmezeit) von einem Eichenmischwald mit höheren Anteilen von Buche, Tanne und Fichte abgelöst wird. Vor allem die Ausbreitung der Rotbuche (Fagus silvatica) kündigt ein zunehmend subatlantisch werdendes Klima an. Etwa ab 2000 v. Chr. wird das Klima allmählich kühler und feuchter und nimmt einen ozeanisch gefärbten Charakter an. Der Verbreitungsschwerpunkt der Rotbuche als Mäßigwärmeanzeiger liegt im ozeanischen Klimagebiet. Im Alpenbereich setzt die Massenausbreitung der Rotbuche während des Neolithikums ein, im Alpenvorland möglicherweise erst während der Hügelgräberbronzezeit.

Stratigraphische Untersuchungen in den Mooren Dänemarks, Mittel- und Norddeutschlands wie auch von Süßwasserkalkablagerungen liefern zusätzliche Hinweise klimageschichtlicher Art.

Grenzhorizonte (Rekurrenzflächen) zwischen Schwarz- und Weißtorfen sind auf Änderungen der hydrologischen Situation zurückzuführen. Horizonte, in denen es gehäuft zu SW-Kontakten kommt, deuten klimabedingte Schwankungen im Moorwachstum an. Zeiten derartiger Bildungen von SW-Kontakten sind um 3000 v. Chr. und 1500 v. Chr. anzunehmen.

Die stratigraphische Untersuchung von Süßwasserkalken führte zur Feststellung von Phasen starker Kalkabscheidung (Feuchtphasen) und Phasen rückläufiger Kalkbildung und humoser Bodenbildung (Trockenphasen). Eine derartige Feuchtphase ist für die Hügelgräberbronzezeit festzustellen. In der Bronzezeit setzt eine oszillierende Klimaentwicklung mit wechselnden Feucht- und Trockenphasen ein.

Die Einbeziehung verschiedener Klimaindikatoren hat es ermöglicht, die Klimaschwankungen des Alpenraumes nahezu vollständig zu ermitteln. Während für das Mittelholozän vor allem Änderungen der Temperatur das Klimageschehen bestimmten, sind die jungholozänen Klimaschwankungen durch Änderungen des Hygroklimas charakterisiert.

Günstigere klimatische Bedingungen in der postglazialen Wärmezeit bewirkten im Alpenraum ein Ansteigen der Buchen- und Tannenwälder in 200 bis 400 m höhere Lagen als heute. F. Firbas glaubt nach Untersuchungen am Troyboden bei Mitterbach die wärmezeitlichen Schichten der Buchenphase mit dem Beginn der frühbronzezeitlichen Erzgewinnung am Mitterberg gleichsetzen zu können. Auch F. Kral nimmt für das Atlantikum und frühe Subboreal eine Erhöhung der Wald- und Schneegrenze um etwa 300 m an.

Die Ausbreitung von wärmeliebenden einjährigen Wasserpflanzen wie Najas marina, Najas minor und Trapa natans – nachgewiesen in den Schweizer Pfahlbauten und Siedlungen des Federseemoores – setzt höhere mittlere Sommertemperaturen voraus. Gams/Nordhagen leiten daraus eine Erhöhung der Waldgrenze um 100 bis 250 m, eine höhere Sommertemperatur von 1 bis 2 Grad und eine Verminderung der Niederschlagsmenge um etwa 20 cm ab. Diese Bedingungen führten zu einer Verlängerung der Vegetationsperiode um etwa 15 Tage, zu einem Absinken des Grundwasser- und Seespiegels und dem damit verbundenen Freifallen breiter Strandplatten [40].

Die Seespiegelschwankungen

Mondsee – Längsprofil durch die Ausflussschwelle und Tiefenlage der Pfähle.
Attersee – Querprofil durch die Ausflussschwelle und Tiefenlage der Pfähle.
Abb 10. Profil der Seeufersiedlung Misling II – einst und jetzt.
Abb 12. Höchst- und Tiefwasserstände des Mond- und Attersees.

In Zusammenhang mit dem Absinken der Seespiegel stellt sich die Frage nach der Höhe der Seeabflussschwellen. Nachdem für mehrere der untersuchten Siedlungen archäologisch einwandfrei festgestellt wurde, dass sie auf diesen trockengefallenen Strandplatten errichtet wurden, setzt dies eine Seespiegelabsenkung im Attersee um rund drei Meter, im Mondsee um rund dreieinhalb Meter voraus. Ausgeklammert muss dabei vorläufig das Problem der Niveausenkungen, Schichtpressungen und Rutschungen bleiben, wie sie in den Seeufersiedlungen der Schweiz festgestellt wurden. Einerseits weil hier einschlägige Untersuchungen, die nur im Zuge von Grabungen angestellt werden können, vollständig fehlen, andererseits doch in den Salzkammergutseen eine abweichende Problemstellung möglich erscheint.

Für die Siedlung Scharfling wurde eine Tiefenlage der Pfähle und Kulturschicht von 476 m ü. A., für See/Mondsee – soweit dies ohne Detailvermessung möglich war – von 477 m ü. A. nachgewiesen. Die Höhe der Ausflussschwelle liegt heute bei 480 m ü. A.

Ähnlich ist die Situation im Attersee. Die Kulturschichten von Aufham I und II, Abtsdorf und Misling II konnten bis durchschnittlich 466 m ü. A. verfolgt werden. Eine Ausnahme bildet die Anlage von Unterbuchberg, die bis in eine Tiefe von 468,9 m ü. A. reicht, also rund einen Meter höher liegt. Zwei Radiocarbondaten ergaben für Unterbuchberg folgende Daten:

VRI-468 – 1/74 2040 ± 70 v. h. = 90 BC
VRI-578 – 2/76 1450 ± 70 v. h. = 500 AC

Diese Anlage steht somit außerhalb der neolithischen Seeufersiedlungen, ihre „Höhenlage“ ist möglicherweise bereits auf ein Ansteigen des Seespiegels infolge der im ausgehenden Subboreal einsetzenden Klimaverschlechterung zurückzuführen.

Die Abflussschwelle des Attersees liegt derzeit bei 468,9 m ü. A. Die Pfähle und Kulturschichten im Attersee liegen heute etwa 3 m unter der Abflussschwelle, die des Mondsees rund 3,5 m.

Entweder haben nun die Abflussschwellen in historischer Zeit durch vermehrte Wasserführung eine Aufschotterung erfahren und lagen in urgeschichtlicher Zeit um ein Wesentliches tiefer, oder die Seen waren abflusslos.

In der Siedlung Misling II wurden mit Pflöcken fixierte Substruktionen vor allem am seeseitigen Rand bis zur Mitte der Siedlung festgestellt. Dies beweist, dass die Siedlung entweder unmittelbar am Rand des Sees auf bereits feuchten Boden errichtet wurde, oder dieser Bereich durch periodisch auftretende Spiegelschwankungen durchfeuchtet wurde. Der höhergelegene Teil der Siedlung war scheinbar von einer derartigen Durchfeuchtung nicht betroffen, die in Misling II/A., Scharfling/M. und Weyregg/A. vorgefundenen Unterzüge, Grundschwellen und Pfahlsubstruktionen waren auf keinen Fall geeignet, Spiegelschwankungen größeren Ausmaßes auszugleichen. Die beabsichtigte Niveauerhöhung der Fußböden kann kaum mehr als 20 bis 30 cm betragen haben. In den meisten untersuchten Siedlungen konnte durch Bohrproben nur eine Kulturschicht festgestellt werden. Nur in den Stationen Weyregg/Landungssteg und Aufham II/A. sind mehrere Kulturschichten von Seekreide überlagert , wie dies auch in den Siedlungen der Schweiz nachgewiesen werden konnte. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass die Siedlungskontinuität durch Überflutungen unterbrochen wurde.

Werden Überlegungen zu periodischen Seespiegelschwankungen moderne Verhältnisse zugrunde gelegt, ergeben sich folgende Resultate: Für den Mondsee beträgt die Höhe der jahreszeitlich bedingten Spiegelschwankungen im Durchschnitt der Jahre 1900 bis 1950 12,9 cm., für den Attersee 19,7 cm. Die Situation verändert sich etwas bei Betrachtung der Höchstwasserstände für beide Seen. Bezogen auf den mittleren Wasserstand beträgt der durchschnittliche Höchstwasserstand für den angegebenen Zeitraum im Mondsee 65,5 cm, im Attersee 45,6 cm. Wäre die Siedlung bei Mittelwasser unmittelbar am See gelegen, läge etwa ein Fünftel der Siedlung unter Wasser. Nur Höchstwasserstände – im Mondsee in diesem Zeitraum zweimal mit 181,3 cm über dem Mittelwert gemessen – hätten ungefähr die Hälfte des Siedlungsareals überschwemmt. Die untersuchten Substruktionen reichen nicht aus, um eine derartige Überflutung zu überbrücken.

Solche Überlegungen sind nur mit Vorbehalt in die Jungsteinzeit zu übertragen. Sie scheinen insofern gerechtfertigt, als die klimatischen Verhältnisse kaum extremere Bedingungen annehmen lassen. In der Zeit von etwa 2800 bis 2000 v. Chr. wurden die feuchten Strandplatten der Seeufer, die infolge höherer Temperaturen und teilweise geringerer Niederschlagsmengen vom Wasser freigefallen waren, für die Anlage von Siedlungen benutzt. Die Siedlungsobjekte wurden durch Unterbauten – Substruktionen – verschiedener Art vom feuchten Untergrund abgehoben. Jahreszeitlich bedingte Seespiegelschwankungen erreichten ein so geringes Ausmaß, dass Überflutungen der Siedlungen fast auszuschließen sind. Nur episodisch auftretende Höchststände der Seespiegel konnten zu teilweiser Überflutung des Siedlungsareals führen. Es liegt der Schluss nahe, dass die Siedlungen auf relativ trockenem Boden errichtet wurden, stärkere Durchfeuchtungen oder Überflutungen nur bei fallweisen Seespiegelhöchstständen auftraten.

Das günstige Klima führte zu einem Vegetationsoptimum. Guyan spricht in diesem Zusammenhang von einem „Steinzeiturwald“, der etwa 90 Prozent des Landes bedeckte [41]. Die Landschaft des Salzkammergutes war unberührt, als die ersten Siedler, die sich an den Seeufern niederließen, in sie eindrangen. Im Bereich ihrer Siedlungen, in der Zone jährlicher Überflutungen wuchsen Weidengebüsche, Erlen und Eschen. Der nähere Siedlungsraum war von einer Buschlandschaft umgeben. Haselsträucher bilden Hecken und Büsche, durch Rodungen verbesserte Lichtverhältnisse begünstigten das Aufkommen von Wildäpfel- und -birnbäumen. In tieferen Lagen bis etwa 700 m Seehöhe wuchs ein artenreicher Buchenmischwald mit Tanne, Fichte, Ahorn, Linde, Ulme, Eibe und Vogelkirsche. Die Tanne war sehr stark vertreten, die Fichte griff nur von feuchten Bachtälern oder auf schattseitigen Hängen in die Waldgesellschaft ein. Im Kalkgebiet stockte artenreicher Fichten-Tannen-Buchenmischwald, die Strauchschicht bedeckte bis zu 5 Prozent des Bodens [42].

Vegetationsärmere Flächen waren nur die Strandplatten der Seen. Moore oder vereinzelte trockene Anhöhen. Die kleinen Siedlergruppen griffen vorerst nicht nachhaltig in das Landschaftsbild ein.

Warum sie ihre Ansiedlungen auf ausgesprochen siedlungsfeindlichen Böden anlegten, konnte bis heute nicht vollständig geklärt werden. Zieht man jedoch Schwierigkeit und Ausmaß der Rodungstätigkeit, der sich diese kleinen bäuerlichen Gemeinschaften unterwerfen mussten, in Betracht, kann ein Ausweichen auf ungüstigeren Siedlungsboden, der für landwirtschaftliche Nutzung nicht geeignet war, als vorläufige Lösung angeboten werden.

Siedlung und Hausbau

Abb 13. Pfahlplan der Siedlung Misling II/Attersee.

Die bisher untersuchten, auf den trockengefallenen Strandplatten der Seen errichteten Siedlungen fanden sich stets auf Seekreideböden. Die seeseitige Begrenzung der Siedlungen ist meist durch den Beginn eines Abfalles im Seeboden in etwa 4 m Tiefe gekennzeichnet, die landseitige Begrenzung ist nur erschwert festzustellen, da in diesem Bereich das Siedlungsareal häufig durch erodiertes Material überschüttet ist. Dennoch ist die Übereinstimmung der landseitigen Begrenzungslinien auffällig. Sie liegen mit geringen Abweichungen durchwegs innerhalb eines bestimmten Höhenbereiches, obwohl anzunehmen wäre, dass einer landseitigen Ausbreitung keine Hindernisse im Wege standen. Eine derart übereinstimmende landseitige Begrenzung kann kaum auf einem Zufall beruhen. Bei der Anlage der Siedlungen wurden anscheinend natürliche Gegebenheiten, Strandlinie und Vegetationsgrenzen berücksichtigt. Die Siedlungen bedecken in langgestreckter Form, die durch die beiden Begrenzungslinien bedingt ist, ausschließlich die Strandplatten. Ihre Größenausbreitung ist sehr unterschiedlich. Die Station Mooswinkel/M. bedeckt eine Fläche von rund 1200 qm, doch fällt sie aufgrund ihrer Lage aus dem normalen Siedlungsschema heraus [43]. Scharfling/M. nimmt eine Fläche von rund 1600 qm, Misling II/A. 2300 qm, Misling I/A. rund 1700 qm, Litzlberg-Süd 5000 qm und Aufham I als bisher größte vermessene Station 13.000 qm ein. Diese Ausmaße übertreffen bei weitem alle früher getätigten Beobachtungen.

Der Fischer Wang, Entdecker der Siedlung Misling I, zählte rund 50 Pfähle und vermutete an dieser Stelle zwei Hütten. K. Willvonseder gibt die Siedlung noch mit 40 m Länge und 10 m Breite an. Diese Beobachtungen wurden vom Boot aus durchgeführt. Für den Taucher sind etwa 10 Prozent der Pfähle ohne Materialbewegung sichtbar. Doch auch diese gerade noch erkennbaren, etwas über den Boden ragenden Pfähle sind mit 2 bis 3 cm Schlamm bedeckt und daher Steinen zum Verwechseln ähnlich. Der Bearbeiter der Siedlung, K. Czech nimmt im Zentrum der Siedlung 10 bis 15 Pfähle/qm an und schätzt die Gesamtzahl der Pfähle auf rund 12.000 [44].

Pfahlfelder und Substruktionen

Scharfling – Rekonstruktionsversuch eines Pfahlrostes.
Rekonstruktion Grundschwelle Weyregg I.
Grundschwellen eines Hauses in Misling II.
Pfahlrost in der Siedlung Scharfling/M. mit Grundschwellen
Misling II – Grundschwellenfixierung.
Detailaufnahme des Pfahlrostes.
Holzarten der Pfähle und Substruktionen.
Misling: Pfähle mit senkrechten Nuten
Misling – Rekonstruktion Substruktion
Detailaufnahme Grundschwelle Weyregg I.

In Misling II wurden im Durchschnitt 8 bis 10 Pfähle/qm, im Zentrum der Siedlung 20 bis 25 Pfähle/qm vermessen. Die Gesamtzahl der Pfähle wurde auf etwa 19.000 geschätzt, ihre Dicke schwankt zwischen 2 und 20 cm und beträgt durchschnittlich 9 bis 10 cm. Für die Dichte der Pfahlsetzung sind mehrere Gründe maßgeblich. Vor allem in Misling II kann aus der Lage der Substruktionen vermutet werden, dass ganze Gebäude – vielleicht aus Baufälligkeit – abgerissen und nicht deckungsgleich wieder aufgebaut wurden. Die Fußböden der Häuser wurden auf Unterzügen errichtet und diese mit Pflöcken im Boden verankert.

Die durchschnittliche Haltbarkeit der Pfähle im feuchten Untergrund betrug etwa 8 bis 10 Jahre, sie mussten daher in regelmäßigen Abständen erneuert werden. In Thayngen „Weier“ (Schweiz) wurden nach dendrologischen Untersuchungen Eichenpfähle nach 17 Jahren ausgewechselt. Wenn sich die Besiedlung über mehrere Generationen erstreckte, ist die Vielzahl an Pfählen leicht verständlich. Die Pfahldichte hat bisher auch die Erarbeitung von Hausgrundrissen erschwert, doch scheinen sich relativ kleine Grundrisse von Rechteckhäusern im Ausmaß von 4x6 m anzudeuten.

Die Ungunst des Siedlungsbodens erforderte besondere bautechnische Maßnahmen. Seekreideböden sind in ausgetrocknetem Zustand hart und tragfähig, mit zunehmender Feuchtigkeit quellen sie auf, werden weich und plastisch und verlieren damit an Tragfähigkeit. Um das ungünstige Wohnklima auf den periodisch durchfeuchteten Siedlungsböden zu verbessern, musste versucht werden, die Fußböden der Häuser trocken zu halten. Die technische Bewältigung dieser Probleme ist den neolithischen Siedlern in ausgezeichneter Weise gelungen. In Scharfling, Misling II und Weyregg wurden verschiedene Arten von Substruktionen aufgefunden, die eine Interpretation dieser Techniken erlauben.

In Scharfling wurden drei rund 2,5 m lange, parallel liegende Balken aufgefunden, die mit – in halbrund ausgehauenen Ausnehmungen stehenden – Pflöcken am Boden befestigt wurden. Senkrecht auf diese Balken war ein ebenfalls durch Pflöcke fixierter Längslieger aufgelegt. Ausnehmungen an der Oberfläche der Querlieger beweisen, dass weitere Balken durch Ausschwemmung verloren gegangen sind. Eine Rekonstruktion der Balkenkonstruktion ergibt einen Horizont mit den Maßen 2,5x4 m.

Ein ähnlicher Unterbau liegt am seeseitigen Rand der Siedlung Misling II. Reste eines Holzrahmens sind ebenfalls mit Pflöcken am Boden befestigt und deuten ein Rechteck von etwa 2,6 m Breite an. Seeseitig ist der Rahmen unvollständig. Die Ausnehmungen für die Pflöcke sind meist kantig, teils halbrund aus den Stämmen ausgehauen. Flache Einkerbungen an der Oberfläche eines Stammes deuten an, dass auch hier Querlieger über dem Rahmen angebracht waren und einen Rost bildeten. Die Pflockausnehmungen verhinderten eine Drehung der Balken um die Längsachse und stabilisierten so den Rost. Fußböden und Wände bildeten keine starren Konstruktionen, sondern wurden als getrennte Elemente errichtet.

In beiden Siedlungen wurden nicht nur seitlich fixierte Substruktionen vorgefunden. In Misling II war einem mächtigen Holzstamm von 3,5 m Länge und fast 50 cm Durchmesser ein dicker Aststumpf belassen worden, der flach auf dem Boden auflag und eine Bohrung aufwies. Drei weitere Bohrungen befanden sich im ersten und zweiten Drittel sowie am Ende des Hauptstammes. Durch zwei Bohrungen war je ein Pflock geschlagen, durch die dritte drei. Der Stamm war außerdem noch durch neun seitlich angebrachte Pflöcke im Boden verankert. Der Befund wies auf ein abweichendes Konstruktionsprinzip. Der Aufwand an Pfählen war zur Stabilisierung der Drehbewegung nicht nötig. Die mächtigen Balken dienten möglicherweise als statische Druckverteilung für aufgesetzte Hauswände, die einseitiges Einsinken verhindern sollten.

Der Beweis für diese Vermutung wurde in der Siedlung Weyregg/Landungssteg gefunden. Der Dampferverkehr hat hier eine breite Rinne durch die Siedlung ausgeschwemmt, in der immer wieder Kulturschicht, Pfähle und Substruktionen freigelegt wurden. Bei einem Kontrolltauchgang wurde in der Fahrrinne ein 6 m langer, rund 45 cm dicker Balken aufgefunden, der in der bekannten Art mit Pflöcken am Boden befestigt war, jedoch seitlich eine noch schwach kenntliche Längsnut aufwies. An der Oberseite des Balkens sind in regelmäßigen Abständen Bohrungen angebracht, die ihn aber nicht durchdringen. Die Bohrungen haben einen Durchmesser von etwa 10 cm, in zwei Bohrungen staken noch kurze Reste von Pfählen. Der Balken wurde gehoben und liegt derzeit zur Konservierung in den Werkstätten des Bundesdenkmalamtes.

Ein Jahr später wurde ein Gegenstück zum Weyregger Balken in der Siedlung See/Mondsee aufgefunden. Auch in diesem Stamm staken noch die Reste von senkrechten Pfählen. Damit ist der Beweis erbracht, dass die Wandkonstruktionen auf derartigen Balken aufgesetzt wurden, um ein einseitiges Einsinken zu verhindern.

Eine andere Substruktion wurde wiederum in Misling II festgestellt. An mehreren Stellen des Pfahlfeldes wurden Pfähle vermessen, die vorerst gespalten schienen, bis eindeutig geklärt werden konnte, dass diese 5 cm breiten, etwa 10 cm tiefen „Spalten“ senkrechte Nuten darstellten.

Eine mögliche Erklärung des Konstruktionsprinzips ergab die Stellung von vier Pfählen mit Nut in einem Rechteck von 3x4 m. Ein fünfter Pfahl steht im Zentrum des Rechtecks. Die Nuten von je zwei Eckpfählen sind zueinander ausgerichtet. Ein Eckpfahl trägt eine T-förmige Nut, der gegenüberliegende Pfahl hat keine derartige Ausnehmung, vor ihm steht jedoch ein Pfahl mit muldenförmiger Vertiefung als Auflage. Die Nut des Mittelpfahles steht parallel zu den Nuten der Außenpfähle. Die Pfähle fungierten als Träger einer Rahmenkonstruktion, die mit Nut-Federverbindung mit den Pfählen verzapft war. Auch hier kommt das Prinzip, ein seitliches Verdrehen und Einsinken zu verhindern, zum Tragen. Die Nuten und damit auch die Federn sind jedoch zu schwach ausgebildet, um größere Belastung aufnehmen zu können. Ähnliche Bauten sind aber aus der Urgeschichte bis in die Neuzeit als Getreidespeicher bekannt. Möglicherweise wurden hier die Reste eines solchen Baues freigelegt.

Konstruktionselemente und Holzarten

Konstruktionselemente – Misling II
Konstruktionselemente – Misling II
Holzartenanteile in Misling II und Attersee
Holzartenanteile in Misling II und Attersee
Zapflöcher-Herstellung
Pfähle mit Beilspuren

Neben den Substruktionen wurden in Misling II weitere bautechnische Details geklärt. So wurden die Reste von zwei rund 15 cm breiten und 2 cm starken Brettern gefunden, die mit zwei Holzdübeln flach miteinander verbunden waren. Pfähle mit schrägen und waagrechten Bohrungen, halbierte und mehrkantig behauene Pfähle – wobei drei, vier ode|r mehr Stammelemente vom Kernholz abgespalten wurden – sowie radiale Stammausschnitte beweisen einen hohen Stand der Holzbearbeitungstechnik.

Beilspuren an Hölzern, wie sie in Misling II häufig festgestellt wurden, sieht Guyan als Beweis für eine Bearbeitung in saftfrischem Zustand an [45]. Die Untersuchung der Bauhölzer aus Misling II und Attersee/Landungssteg ergab wesentliche Unterschiede in den Holzarten, die möglicherweise aus der Siedlungslage erklärbar sind. In der Siedlung Attersee/Landungssteg stellt die Esche mit 44 Prozent den höchsten Anteil, gefolgt von Schwarzerle, Weißerle, Birke, Weißpappel und Weide. Die Fichte ist unter den entnommenen Proben nicht vertreten. Die bestimmten Arten stammen durchwegs aus Gehölzen des Auwaldes oder feuchter Standorte. Die technologische Qualität ist eher gering.

Im Gegensatz dazu stellt die Fichte in Misling II mit 22 Prozent den höchsten Anteil, gefolgt von Pappel, Weide, Erle, Birke und Esche.

Die Fichte ist eine leicht spaltbare Holzart. Etwa die Hälfte der untersuchten Fichtenstämme war halbiert oder geviertelt. Die Fichte ist in der Wahl ihres Standortes eher anspruchslos, nur sehr trockene Plätze oder stehende Nässe meidet sie [46]. Die Siedlung Misling II liegt am Fuße eines mäßig ansteigenden Hügels, der wenig Raum für Ackerland lässt und auch heute noch einen starken Fichtenbestand aufweist. Im Hinterland der Siedlung Attersee/Landungssteg wurden erst in jüngster Zeit große anmoorige Flächen drainagiert. In urgeschichtlicher Zeit müssen diese Bereiche von dichtem Auwald bestanden gewesen sein.

Die Seeufersiedler haben in erster Linie das bei der Rodungstätigkeit anfallende oder zumindest aus dem näheren Siedlungsbereich stammende Holz verwendet, scheinbar ohne Berücksichtigung seiner Haltbarkeit im feuchten Untergrund oder seiner technologischen Qualität. Nur die Erle eignet sich besonders für die Verwendung im nassen Bereich. Harthölzer wie Buche und Eiche sind mit 1 bzw. 2 Prozent unterrepräsentiert. Möglicherweise beeinflusste auch die unterschiedliche Abnutzung der Beilschneide die Auswahl der Hölzer, bei der Bearbeitung von Weichholz bleibt die Schneide eines Steinbeils zwölfmal solange leistungsfähig.

Unmittelbar auf der Seekreide als Siedlungsboden lagert eine aus organischem Material aufgebaute „Kulturschicht“, die teils intentionell, teils aus zufällig liegengebliebenen oder eingeschleppten Resten von Heu, Ästen und Zweigen entstanden ist. Makrorestuntersuchungen dieser Schicht liefern reiche Informationen über die anthropogene Beeinflussung der Vegetation, über Agrartechnik und Siedlungslage sowie über Waldzusammensetzung, Auswahl der Holzarten und Sämereien durch den Menschen und Schichtentstehung. Auch für diesen Bereich liegen nur einige wenige Einzeluntersuchungen vor, die dennoch bereits zeigen, welch weiter Problemkreis hier angeschnitten wird.

Während bei den Pfählen Holzarten der Uferzone dominieren, stellt die Tanne bei den in der Kulturschicht enthaltenen Zweigen den höchsten Anteil, unter den Nadelresten ist die Fichte am höchsten vertreten. Nach Schweingruber dürfte aber die Diskrepanz zwischen Fichten- und Tannenzweigen und der entsprechenden Nadelzahl wohl auf Zufall beruhen. Holzkohlenreste und Holzsplitter stammen von Buche, Weißtanne und Eiche. Auffällig ist der hohe Anteil von Rinden und Zeigen in den Proben, der nach Schweingruber auf Bodenbelege und Wandgeflecht schließen lässt. Tatsächlich wurden sowohl in Scharfling wie auch in Misling II vor allem im seeseitigen Bereich der Siedlungen größere Flächen mit Rindenbahnen belegt, vermutlich um eine bessere Begehbarkeit des Bodens zu erreichen. In beiden Stationen wurden auch Fragmente gebrannten Hüttenlehms mit Eindrücken von Flechtwerk gefunden. Tannenreisig wurde auch als stabilisierende Herdunterlage verwendet [47]. Einige quadratmetergroße Lehmlinsen in Misling II könnten als Hinweise auf das Vorhandensein derartiger Herdplatten gewertet werden.

Das häufige Vorkommen von Neckera crispa [Krausblättriges Neckermoos], einer Moosart, die nicht in der feuchten Uferzone gedeiht, scheint auf menschliche Sammeltätigkeit zurückzuführen sein und wurde wahrscheinlich als Dichtungsmaterial verwendet [48].

Die Seeufersiedlungen wurden vermutlich durch die noch im Subboreal einsetzende Klimaverschlechterung und den damit verbundenen Seespiegelanstieg unter Wasser gesetzt. Dieser Anstieg brach sicher nicht katastrophenartig über die Siedlungen herein, sondern ging wahrscheinlich sehr allmählich vor sich. Einen Hinweis darauf könnte die „Höhenlage“ der kaiserzeitlichen Anlage von Unterbuchberg darstellen, ebenso auch die Befunde von Misling II und Scharfling. Im Bereich des vermuteten jungsteinzeitlichen Ufersaumes wurde eine starke Schwemmholzzone vorgefunden, die größtenteils Bauholz aus der Siedlung enthält. Bei einem Verfall der Siedlung mussten niederbrechende Bauteile der unmittelbar am Ufer stehenden Häuser an diesem ursprünglichen Ufer abgelagert werden. Sie sogen sich voll Wasser, blieben liegen und wurden von einem langsam ansteigenden Wasserstand in ihrer Lage kaum verändert. Wären die Siedlungen durch rasch steigende Hochwässer zerstört worden, müssten die Balken verschwemmt über den gesamten Siedlungsbereich verstreut oder im späteren Uferbereich abgelagert worden sein. Die Schwemmholzschicht scheint ein Hinweis darauf zu sein, dass die Siedlung zum Zeitpunkt der Überflutung bereits verlassen war und der Seespiegelanstieg sehr allmählich vor sich ging. Ob der langsam steigende Grundwasserspiegel die Siedler zur Aufgabe der Siedlungen zwang, oder andere Gründe vorlagen, bedarf noch der Klärung, wie auch über die Dauer der Besiedlung noch keine bindenden Aussagen getroffen werden können.

Jagd und Viehzucht (nach Wolff et al.)

In den dichten Wäldern des Salzkammergutes war die Wildtierwelt des Neolithikums im Wesentlichen die gleiche wie heute. Der Tierbestand des urzeitlichen Urwaldes darf jedoch nicht überbewertet und im Vergleich mit den behegten Wäldern der Neuzeit gesehen werden. Der Eingriff des Menschen in die Landschaft, Rodung, Ackerbau und Waldweide, dazu die Bejagung im Bereich der Siedlungen erschwerte sicher die Erlegung des Wildes.

In Burgäschi-Süd (Schweiz) wurde eine neolithische Seeufersiedlung fast vollständig ausgegraben. Die Bearbeitung des osteologischen Materials gewährte einen Einblick in die Zahl der durchschnittlichen Jahresbeute. Rothirsche wurden in einem Jahr nur zwei Tiere, Ure in drei Jahren ein Tier, Wisent und Bär in zehn bis zwölf Jahren nur je ein Tier erlegt.

Die bisher untersuchten Knochenreste stammen durchwegs aus den Seeufersiedlungen des Mondsees. Das Material aus der Siedlung Scharfling wurde von der Oberfläche der Kulturschicht aufgesammelt, die Funde der Station See wurden durch Grabungen gewonnen. Aus diesem Grund kann die quantitative Zusammensetzung des osteologischen Materials aus der Station See als unverfälscht angesehen werden. Das Fundmaterial aus Scharfling war einer durch die schlechten Sichtverhältnisse bedingten Auslese durch die Taucher unterworfen. Kleinere Fundobjekte wurden eher übersehen.

Säugetierarten aus der Station See/M. nach der Häufigkeit im Fundgut.

Die Liste der in den Siedlungen des Mondsees nachgewiesenen Wildtiere umfasst:

Rothirsch Cerbus elaphus L.
Gämse Rupicapra rupicapra L.
Wildschwein Sus scrofa L.
Reh Capreolus capreolus L.
Biber Castor fiber L.
Braunbär Ursus arctos L.
Baummarder Martes martes L.
Igel Erinaceus europeus L.
Fuchs Vulpes vulpes L.
Wolf Canis lupus L.
Iltis Mustela putorius L.
Dachs Meles meles L.
Fischotter Lutra lutra L.
Wildkatze Felis silvestris S.
Luchs Lynx lynx L.
Wild- oder Hauspferd Equus ferus B. oder Equus ferus f. caballus L.
Steinbock Capra ipex L.
Feldhase Lepus europeus L.
Eichhörnchen Sciurus vulgaris L.
Siebenschläfer Glis glis L.
Wisent Bison bonasus L.
Elch Alces alces L.
Ur Bos primigenius B.

Vögel

Mittelsänger Mergus serrator L.
Gänsesänger Merus merganser L.
Auerhuhn Tetrao urogallus L.
Haselhuhn Tetrastes bonasia L.
Waldschnepfe Scolopax rusticola L.
Waldkauz strix aluco L.
Pirol ? Oriolus oriolus L.
Kolkrabe Corvus corax L.

Fische

Hecht Esox lucius L.
Huchen Hucho hucho L.

Der Rothirsch war das Charaktertier des neolithischen Mitteleuropas und führt zahlenmäßig die Wildtierlisten der meisten Siedlungen an. Er fand in den jungsteinzeitlichen Wäldern optimale Bedingungen vor und erreichte eine Größe, die „oft die Höhe ansehnlicher Pferde übertraf“. Der Rothirsch ist ein ergiebiger Fleischlieferant und seine im Bruch scharfkantigen Knochen sowie die Geweihstangen waren als Rohmaterial für die Werkzeugherstellung geschätzt.

Das Reh stand in seiner Bedeutung als Jagdtier an vierter Stelle. Es kam im Wald der Jungsteinzeit viel weniger häufig vor als etwa im Mittelalter oder in der Neuzeit. Neben der Nahrungsbeschaffung wird auch das hegerische Moment des Pflanzers maßgeblich die Jagd auf Reh und Wildschwein beeinflusst haben.

Die Häufigkeit des Vorkommens der Gämse verschafft den Stationen Scharfling und See eine Sonderstellung unter den neolithischen Siedlungen. Auch die Knochen der Gämse wurden ihrer Härte wegen zur Geräteerzeugung herangezogen. Die Weidekonkurrenz für die Hauswiederkäuer der Siedlungen mag zusätzlich zum Fleischgewinn einen weiteren Grund für die Bejagung der Gämse dargestellt haben.

Der Steinbock ist nur als Einzelfund nachgewiesen, sein nächster Standort war sicher der Schafberg, auf dessen Höhen die Siedler ihr Jagdgebiet eher selten ausgedehnt haben dürften.

Der Elch hingegen zählt in den neolithischen Siedlungen Mitteleuropas nicht zu den Seltenheiten. Seine Häufigkeit nimmt vom Ende des Neolithikums an bei uns ab, noch vor Beginn des Mittelalters dürfte er aus unserem Gebiet verschwunden sein. Er ist im Mondseematerial mit vermutlich zwei Exemplaren vertreten.

Die Wildrinder sind nur durch spärliche Funde nachgewiesen. Der Ur gilt als Urahne unserer Hausrinder und war in Europa allgemein verbreitet. In Süddeutschland wurde er spätestens im 10. Jahrhundert zum letzten Mal gesehen. Der Ur fehlt in fast keiner neolithischen Siedlung; der Wisent war zwar ebenfalls in ganz Europa verbreitet, scheint aber in den jungsteinzeitlichen Siedlungen der Schweiz seltener auf. Nach Höhlenfunden aus den Nordostalpen dürfte der Wisent häufiger in den Vorgebirgsbiotopen vorkommen, währen der Ur eher als Wechselwild anzusehen ist.

Das Wildschwein stand in seiner Bedeutung als Jagdtier hinter der Gämse an dritter Stelle. Auch ihm boten die neolithischen Laubwälder optimale Lebensbedingungen, wie der Rothirsch war auch das Wildschwein größer als heute. In Europa gab es nur eine Wildschweinart, deren domestizierter Abkömmling das Hausschwein ist. Schweinefleisch wurde anscheinend nur in geringem Maß verzehrt, es deckte nur ungefähr die Hälfte des Bedarfes.

Der Braunbär, Bewohner unzugänglicher Waldgebiete und der größte unter den heimischen Bärenarten, konnte als einziges Wildtier nennenswerte Abwechslung in die fast zur Gänze von Huftieren bestrittene Fleischkost bringen. Sein Pelz war sicher begehrt, seine Zähne wurden häufig durchbohrt und dienten als Schmuck.

Unter den Nagetieren kommt der Biber am häufigsten vor. Die weitverzweigten Flüsse, ausgedehnte Sümpfe und Auwälder boten ihm ausgezeichnete Bedingungen. Sein Fleisch und Pelz waren geschätzt, der meißelförmige Kiefer wurde als Werkzeug verwendet.

Der Fischfang ist mit den beiden nachgewiesenen Arten Hecht und Huchen sicher unterrepräsentiert. Die wenig widerstandsfähigen Fischknochen scheinen im Fundgut selten auf und könnten erst durch planmäßige Grabungen in ausreichendem Maß nachgewiesen werden. Die Lage der Siedlungen an den fischreichen Seen, Funde von Angelhaken [nur aus AsCu!] und Netzsenkern lassen annehmen, dass die eiweißreiche Fischnahrung sicher eine wesentlichere Rolle gespielt hat, als derzeit im Fundmaterial zum Ausdruck kommt.

Vogelknochen sind aufgrund ihrer geringen Größe und Brüchigkeit reine Zufallsfunde. Daher sind nur wenige Arten unserer reichen Vogelfauna nachgewiesen. Als Nahrung dürfte den Vögeln nur geringe Bedeutung zukommen. Das häufige Vorkommen von Sängern könnte auf Netzfängerei hinweisen, da sich die Tauchvögel auch heute noch des Öfteren in Stellnetzen verfangen.

Die jungsteinzeitlichen Besiedler der Seeufer waren vorwiegend Bauern, die Jagd diente der zusätzlichen Fleischversorgung. Nur in Scharfling weist das Überwiegen von Wildtierknochen im Fundmaterial auf eine Dominanz der jägerischen Komponente, die möglicherweise auf die topographischen Verhältnisse zurückzuführen ist. In Scharfling stand für Landwirtschaft und Viehzucht nur ein relativ kleines Talbecken zur Verfügung. Für eine ausreichende Fleischversorgung musste daher der Jagd größere Aufmerksamkeit gewidmet werden als in den anderen Siedlungen.


Mit Birkenteer geschäftete Pfeilspitze und Vogelpfeile

Als Jagdgerät ist der Pfeil-Bogen nachgewiesen. Während er in der Schweiz durch zahlreiche Exemplare belegt ist, konnte in Österreich bisher nur ein Bogen in Misling II aufgefunden werden. Da seine Konservierung nicht abgeschlossen ist, können keine genauen Maße vorgelegt werden, doch entspricht er in etwa den Bogen der Schweiz, deren Länge zwischen 155 und 175 cm variiert, bei einer Durchschnittsgröße der Jäger von 165 cm. Pfeilspitzen wurden in großer Zahl gefunden, sie waren meist vollständig in den Schaft eingepecht. Doch auch hier fällt das Fehlen der in der Schweiz nachgewiesenen großen Variationsbreite auf, die auf bestimmte Jagdpraktiken schließen lässt.

Alle bisher in England und der Schweiz aufgefundenen neolithischen Bogen bestanden aus Eibenholz. In Experimenten mit einem nachgebauten Bogen von 1,90 m Länge wurden Schussweiten bis 60 m erzielt. Das Original stammt aus der Zeit um 2800 v. Chr.

Eine Verkürzung des Bogens auf 1,73 m erhöhte die Schussleistung auf 224 m. Bei Tests der Durchdringungskraft und des Tötungsvermögens eines solchen Bogens wurde ein laufender Rehbock mit einem einzigen, aus 75 m Entfernung abgeschossenen Pfeil erlegt. Der Pfeil durchdrang die Brust des Tieres und kam auf der anderen Seite wieder zum Vorschein. Obsidianspitzen, deren wellige Kanten besser schnitten, erwiesen sich als am wirksamsten [50].

Im schweizerischen Neolithikum ist die Jagd mit Speeren mit langen, seitlich aufgebundenen Knochenspitzen belegt. Im österreichischen Fundmaterial fehlen diese Knochenspitzen mit seitlichem Dorn bisher vollkommen, doch könnte dies eine Fundlücke sein.


Neben der Landwirtschaft gibt die Haustierhaltung der neolithischen Wirtschaft das Gepräge. In erster Linie deckten die Haustiere als „lebende Fleischkonserve“ den Fleischbedarf der Siedler, wobei auch anderen tierischen Produkten wie Milch und Wolle wesentliche Bedeutung zuzumessen ist. Neolithische Haustiere sind im Vergleich mit heutigen und den Wildformen eher kleine Tiere, aber keine Kümmerformen. Es gab keine bewusste und planmäßige Zucht, daher sind moderne Rassenbegriffe nicht anzuwenden. Es handelt sich bei den frühen Haustieren um Primitivrassen mit großer Variationsbreite.

An Haustieren wurden – entsprechend ihrer Häufigkeit – nachgewiesen:

Hausrind Bos primigenius f. taurus L.
Schaf Ovis ammon f. aries L.
Ziege Capra aegagrus f. hircus L.
Hausschwein Sus scrofa f. domestica
Hund Canis lupus f. familiaris L.

Wichtigstes Wirtschaftstier war das Hausrind, das hauptsächlich als Fleischlieferant gehalten wurde. Der größte Teil der Tiere wurde im jugendlichen Alter geschlachtet, nur ein geringer Teil des Bestandes wurde zur Nachzucht über den Winter gebracht, da die Stallhaltung sicher Ernährungsprobleme mit sich brachte. In erster Linie ist an Fütterung mit Laub und Kräuterheu von aufgelassenen Äckern zu denken. Im Sommer wurde das Vieh auf Waldweiden und verunkrautete Rodungsflächen getrieben.

Das Schaf stellt im Fundgut des Mondsees das zweitwichtigste Haustier dar, gefolgt von der Ziege. Eine hohe Schlachtrate an männlichen Jungtieren lässt auf vorwiegende Nutzung als Fleischlieferant schließen. Beim Schaf konnte die Haltung von Kastraten nachgewiesen werden, wodurch seine Rolle als Wollspender unterstrichen wird.

Das Hausschwein dürfte aufgrund der für seine Haltung ungünstigen ökologischen Verhältnisse eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Der geringe Anteil der Eiche im Laubmischwald des Seengebietes und die daraus resultierenden Probleme einer Wintermast erklärt eine Schlachtung der meisten Tiere im ersten Herbst oder Winter nach einem Wurf.

Der Hund ist der domestizierte Nachfahre des Wolfes. Die Meinung, dass ein Teil der Haushunde vom Goldschakal abstamme, konnte nicht aufrechterhalten werden. Der Hund kommt in den neolithischen Siedlungen sehr häufig vor und wurde nicht allein als Jagdgenosse gehalten. Das überwiegend junge Alter der Tiere, häufige Hack- und Schnittspuren an den Knochen sprechen dafür, dass Hundefleisch einen regelmäßigen Bestandteil des Speisezettels darstellte. In Fundmaterial des Mondsees ist der Hund das am schwächsten vertretene Haustier und gehört einer kleinen, primitiven Rasse an, sein Aussehen ähnelte den heutigen Spitzhunden.

Die Viehzucht erfolgte auf der Grundlage bereits domestizierter, bei der Einwanderung mitgeführter oder eingehandelter Tiere. Der Hund gilt als ältester Begleiter des Menschen im europäischen Raum und kann als einziges Haustier in mesolithischen Kulturzusammenhang nachgewiesen werden. Schaf und Ziege, domestiziert aus der Bezoarziege bzw. verschiedenen Unterarten des Wildschafes, wurden aus Gebieten des südosteuropäischen Frühneolithikums eingeführt. Für Rind und Schwein wird ein sekundäres mitteleuropäisches Domestikationszentrum parallel zum südosteuropäischen Raum angenommen. Der bislang früheste Fund eines Hausrindes stammt aus der Zeit vor etwa 8500 Jahren aus Griechenland.

Die Landwirtschaft

Im 9. bis 6. vorchristlichen Jahrtausend fand in Kleinasien die Ausprägung typisch neolithischer Kultur- und Wirtschaftsformen statt. In Mitteleuropa vollzog sich der Wandel zu den frühesten Ackerbaukulturen – die „neolithische Revolution“ – mit all seinen umwälzenden Auswirkungen auf kulturelle, wirtschaftliche und soziale Strukturen erst im 5. Jahrtausend. Die Errichtung ständiger Ansiedlungen, die Züchtung von Haustieren und der Anbau von Nutzpflanzen bildeten die Grundlage neolithischer Lebensformen.

Die Besiedler der Seeufer waren die ersten Kolonisten, die im 3. vorchristlichen Jahrtausend in die Wälder des Salzkammergutes eindrangen. Das neue Gerät dieser Zeit war die Lochaxt, erst sie ermöglichte großflächige Eingriffe in den Steinzeiturwald und seine Urbarisierung.

Ein Pollendiagramm aus dem Egelsee bei Scharfling zeigt für diese Zeit ein deutliches Ansteigen der Nichtbaumpollen und damit den Beginn der Rodungstätigkeit. Diesem ersten Rodungsgipfel um etwa 2500 v. Chr. folgt ein deutliches Abfallen der Pollenkurve bis zur Zeitenwende, ebenso fehlen die kulturanzeigenden Unkräuter. Dies bedeutet für den Raum Scharfling eine Nichtbesiedlung oder einen Rückgang der Besiedlung in nachneolithischer Zeit.