Arbeit von Melissa Sehrt zum Gerlhamer Moor

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Sehrt (2019), Melissa: Multi-proxy Study of the Late-Glacial to Holocene Lake Basin Development and Vegetation History at Gerlhamer Moor (Multiproxy-Studie zur spätglazialen bis holozänen Seebeckenentwicklung und Vegetationsgeschichte im Gerlhamer Moor). Uni. Innsbruck, 71 S.

Melissa Sehrt: Die Region Mondsee und Attersee ist bekannt für die intensive Erforschung der prähistorischen, neolithischen und bronzezeitlichen Seeufersiedlungen, die unter den Bedingungen des Wasserabschlusses außergewöhnlich gut erhalten sind. Neben den Seeufersiedlungen finden derzeit auch archäologische Fundstellen im Hinterland der Seen große Beachtung, um zu klären, ob und in welchem Ausmaß prähistorische Siedler die Umgebung der Seen für Ackerbau und Viehzucht genutzt haben. Gleichzeitig gibt es für die Region bisher nur wenige Informationen mit gut datierter Vegetationsdynamik und den menschlichen Einfluss auf die ehemalige Vegetation. Eine paläoökologische und sedimentologische Multi-Proxy-Studie unter Verwendung von Pollen, Nicht-Pollen-Palynomorphen, Makrofossilien, Mikro- und Makrokohlepartikeln und Röntgenfluoreszenz-Analysen aus einem Sedimentkern aus dem Gerlhamer Moor nordwestlich des Attersees wird zur Rekonstruktion der Vegetation seit dem Spätglazial und für das gesamte Holozän herangezogen.

Reihenfolge der Beschriftung des Pollendiagramms:

Pollendiagramm Gerlhamer Moor by Melissa Sehrt

Pinus mugo-sylvestris … Zwerg-Bergkiefer (Latsche)
Betula … Birke
Picea abies … Fichte
Corylus avellana … Haselnuss
Alnus … Erle
Ulmus … Ulme
Quercus … Eiche
Tilia … Linde
Fraxinus excelsior … Esche
Acer … Ahorn
Fagus sylvatica … Rotbuche
Abies alba … Weißtanne
Carpinus betulus … Hainbuche

Palynologisches Diagramm für alle Baum- und Strauchtaxa und Mikrokohlepartikel, die in 70 Sedimentproben aus dem Gerlhamer Moor gefunden wurden. Die Pollentaxa und Mikrokohlen sind als Prozentwerte der definierten 100%-Pollensumme angegeben. Helle Silhouetten stellen die zehnfach überhöhten Prozentwerte dar. Klimatische Kaltphasen wurden mit den Abkürzungen und der Nummerierung der Kaltphasen eingezeichnet: Abkürzungen: CE: Central European cold-humid phases – Mitteleuropäische kalt-feuchte Phasen; BE: Bond-Event – Bond-Ereignis; LIA: Little Ice Age – Kleine Eiszeit. Abkürzungen für Chronozonen: OD: Oldest Dryas – Älteste Dryas; B/A: Bölling/Alleröd complex – Bölling/Alleröd-Komplex; YD: Younger Dryas – Jüngere Dryas; PL: Paläolithikum; ML: Mesolithikum; NL: Neolithikum; BA: Bronze Age – Bronzezeit; IA: Iron Age – Eisenzeit: RP: Roman Period – Römische Zeit; MP: Medieval Period – Mittelalter; MT: Modern Times – Neuzeit.



Detaillierte Beschreibung des Pollendiagramms

Das Gerlhamer Moor hat eine Fläche von 0,12 km² und liegt zwischen zwei Endmoränen der letzten Eiszeit. Mit dem Ende der letzten Eiszeit war das heutige Moor ein sogenanntes „Toteisloch“, das sich zu einem See entwickelte, in dem sich biologisches Material und ebenso Pollen ablagerten. Der Übergang des Sees in ein Moor erfolgte erst vor 5.200 Jahren aufgrund einer Eutrophierung.

Mittels eines Bohrkerns aus 2016 mit einer Länge von knapp über 5,5 Metern kann die gesamte Entwicklung seit der Eiszeit nachverfolgt werden. Hierzu wurden in entsprechenden Abständen 11 14C-Datierungen vorgenommen, mit dem der gesamte Kern zeitlich skaliert werden konnte.

Die ältesten, untersten Schichten bestehen aus späteiszeitlichem Sediment (30 cm; 18.000 Jahre alt) dem eine mächtige Seekreideschicht folgt (350 cm; 18.000–5.500 Jahre BP). Darüber liegt eine Gyttja-Schicht (50 cm; 5.500–3.000 BP), gefolgt von Torf (130 cm; 3.000–heute).

In den ältesten Schichten – gleich nach Bildung des Sees– bildete sich um 17.000 BP eine aquatische Fauna und Flora. Die ältesten Pollen wurden in einer Tiefe von 549,5 cm gefunden, was einem Alter von 15.400 BP entspricht.

Der Bohrkern kann in drei Cluster geteilt werden: „Local Pollen Assemblage Zone“ = „Lokale Pollen Zusammensetzungs-Zone“:

  • LPAZ 1: 15.400–10.650 BP mit zwei Sub-Zonen vor und nach 14.500 BP
    • LPAZ 1a: 15.400–14.500 BP
      Pollen erst ab 15.400 BP: 60 % der Pollen stammen von Sonnenröschen (Helianthemum), Beifuß (Artemisia), Gänsefuß (Chenopoiacae), Wegerich (Plantago), Kreuzblütler (Brassiacaceae), Ampfer (Rumex), Wiesenrauten (Thalictrum), Wegwarte (Cichorioideae), Korbblütler (Asteraceae) und Süßgräsern (Poaceae). Weitere 25 % kommen von Baum- und Strauchpollen der Arten Zwerg-Bergkiefer [Latsche] (Pinus mugo-sylvestris) und Birke (Betula). Die restlichen 15 % machen Chinesisches Meeträubel (Ephedra), Wacholder (Juniperus), Weide (Salix) und Sanddorn (Hippophae rhamnoides) aus. Im See gab es mehrere Algenarten und aquatische Würmer.
    • LPAZ 1b: 14.500–10.650 BP
      Um 14.500 kommt es zu einer rasanten Zunahme von zuerst Birke (Betula) und dann Kiefer (Pinus). Die Vorherrschaft dieser Arten wechselte mehrmals in dieser Zone. Als Sträucher gibt es zwischen 13.000 und 12.000 BP etwas Weide (Salix) und Sanddorn (Hippophae rhamnoides) sowie Wacholder (Juniperus), Beifuß (Artemisia), Süßgräsern (Poaceae) und Mädesüß (Filipendula).
      Zwischen 11.500 und 10.650 BP wandern einzelne neue Baumarten ein wie Ulme (Ulmus), Fichte (Picea abies), Hasel[nuss] (Corylus avellana) und Linde (Tilia). Um 10.850 gab es schweres Feuerereignis, die diese Einwanderungen begünstigt haben könnte. Gegen Ende dieser Zone treten Farne auf: Sumpffarn (Thelypteris palustris), Zerbrechlicher Blasenfarn (Cystopteris fragilis) und [der uns wohlbekannte] Wurmfarn (Dryopteris).
  • LPAZ 2: 10.650–6.400 BP mit zwei Sub-Zonen vor und nach 9.700 BP
    • LPAZ 2a: 10.650–9.700 BP
      In diesem Jahrtausend werden Kiefer (Pinus) und Birke (Betula) von rund 30 % auf unter 10 % extrem reduziert. Das Freiland war angefüllt mit Hasel (Corylus avellana) – mit einem Anteil von 50 % aller Pollen – und Eichen (Quercus) mit über 10 % Anteil und Linde (Tilia) mit 5 % Anteil. Letztere ist Insekten-bestäubt, sodass der trotzdem 5 %ige Pollenanteil für einen enormen Anteil von Linden beim Gerlhamer Moor spricht. Interessanterweise geht dieser massive Baumartenwechsel mit drei Großfeuerereignissen in den Jahren 10.580, 10.320 und 10.050 BP einher, die diesen Austausch „befeuert“ haben könnte.
    • LPAZ 2b: 9.700–6.400 BP
      Diese Zone ist durch einen kontinuierlichen Rückgang von Hasel (Corylus avellana) von 30 % auf 15 % Anteil an den Gesamt-Pollen charakterisiert, während Eiche (Quercus) bis auf 20 % zunimmt – um gegen Ende dieser Periode wieder auf 10 % zurückzugehen. Die Anteile der Ulme (Ulmus) verharren während des Großteils dieser Zone auf über 10 %. Die Erle (Alnus) liegt immer über 10 %, zeitweise erreicht sie 20 % Anteil. Linde (Tilia), Esche (Fraxinus excelsior) und Ahorn (Acer) erreichen nun ihre höchsten %-Anteile mit über 5 % für Linde und Esche und knapp 5% von Ahorn. Es zeigt sich eine Zunahme von Fichte (Picea abies) auf über 10 % und auch Efeu (Hedera helix) ist häufig.
      Im letzten Jahrtausend dieser Zone kommt es zu einer rapiden Einwanderung von Buche (Fagus sylvatica) und Tanne (Abies alba) mit dem Beginn um 7.600 BP, das auch eine Spitze von Mikro-Holzkohle-Partikeln eines Großfeuers zeigt. Parallel dazu gibt es einen 200-jährigen Rückgang bei Fichte, Kiefer und Ulme.
      Gleichzeitig mit diesem Feuer und dem Baumartenwechsel gibt es mehrere Peaks von Algen: Zackenrädchen (Pediastrum), Tetraedron und Cyanobakterium (Gloeotrichia) und einen raschen Anstieg von Geißelalgen (Volvocaceae), Panzergeißler (Dinoflagellates), Goldalgen (Chrysophyceae) [gold-braune Alge], und Neorhabdocoela. Im Zuge dieser Besiedlung kam es zu einer Algenblüte, die mit einem Nährstoffeintrag in den Gerlhamer See zusammenhängt.
  • LPAZ 3: 4.400 v.Chr. – 1953 n. Chr.; mit drei Sub-Zonen vor und nach 2.000 v.Chr. sowie vor und nach 800 n. Chr.
    • LPAZ 3a: 4.400–2.000 v.Chr.
      Diese Zone startet mit einem massiven Rückgang der lichtliebende Arten Eiche (Quercus), Ulme (Ulmus), Linde (Tilia), Esche (Fraxinus excelsior) und Ahorn (Acer) zu Pollenanteilen weit unter 5 %. Nur die Eiche kommt später wieder zurück.
      Dieser Rückgang wurde durch eine enorme Ausbreitung der Buche (Fagus sylvatica) mit einem Pollen-Peak von 48 % um 4.150 v. Chr. kompensiert – gemeinsam mit Tanne (Abies alba) mit Anteilen von über 10 %. Allerdings wurden die Buchenpollen-Anteile innerhalb weniger Jahrhunderte wieder auf 10 % um 3.460 v. Chr. reduziert.
      Die Pollenanteile von Haselnuss (Corylus avellana) erhöhten sich auf 35 % und jene von Erle (Alnus) erreichten über 20 % während dieses Buchenrückgangs.
      Es ereigneten sich mehrere Mikro-Holzkohlen-Peaks in 3.940, 3.780, 3.630 und 2.770 v. Chr..
      In der Zeit zwischen 2.770 und 2.180 v. Chr. zeigen sich einige Pollen-Indikatoren für menschliche Aktivitäten: Spitzwegerich (Plantago lanceolate), Ampfer (Rumex) und Brennesseln (Urtica) wie auch Getreide-(Cerealia-)Pollen um 2.180 v. Chr.
    • LPAZ 3b: 2.000 v. Chr. – 800 n. Chr.
      Dieser Zeitabschnitt zeigt das Verschwinden der bereits reduzierten Arten Ulme (Ulmus), Linde (Tilia), Esche (Fraxinus excelsior) und Ahorn (Acer) auf Werte unter 1 %. Es gibt aber einen raschen Rückgang der Buche (Fagus sylvatica) von über 25 % während der Bronzezeit auf weniger als 10 % in der Eisenzeit, bevor sie sich fängt und wieder auf Werte über 25 % während der Römerzeit und dem Frühmittelalter ansteigt.
      Neben landwirtschaftlichen Pollen gibt es um 1100 v. Chr. leichte Anstiege von Birke (Betula), Kiefer (Pinus) und Eiche (Quercus), vor allem aber einen starken Anstieg von Tanne (Abies alba) auf über 25 % Pollenanteile – die aber bis 300 n. Chr. wieder auf unter 5 % abfallen.
      Hainbuche mit einem Anteil von 1,8 % um 800 v. Chr. erreichte 300 n. Chr. 10 %.
      1975 BP (= 45 n. Chr.) zeigen sich einige Edelkastanien-Pollen (Castanea sativa), was römischen Import zeigt.
      Um 600 n. Chr. erhöhten sich die Getreide-(Cerealia-)Pollen-Anteile auf über 2 % und zeigen intensive Landwirtschaft.
    • LPAZ 3c: 800 n. Chr. – 1953 n. Chr.
      In dieser letzten Zeitzone wurden große Anteile von Pollen der Walnuss (Juglans regia) sowie Heidelbeeren (Vaccinium) und der Heilpflanze „Heidekraut“ (Calluna); Roggen (Secale cereale) seit 860 n. Chr. mit bedeutsamen Pollen-Anteilen von 1,6 % gefunden. Weiters gibt es in diesem Getreide-Kontext Pollen der Kornblume (Centaurea cyanus) und die Wiesen-Flockenblume (Centaurea jacea) und weitere anthropogene Indikatoren wie die Wegeriche (Plantago). Große Anteile von Kiefer während des Mittelalters und auch die steigenden Anteile von Fichte auf mehr als 25 % zeigen eine Förderung und Pflanzung ab dem Hochmittelalter um das Gerlhamer Moor. Die Süßgräser (Poaceae = Getreiden) hatten gegen Ende dieser Sub-Zone eine starke Zunahme auf mehr als 40 %.