Urgeschichte der westlichen Schwarzmeerküste mit der Proto-Hochkultur Varna

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Urgeschichte der westlichen Schwarzmeerküste mit der Proto-Hochkultur Varna und frühen Ufersiedlungen mit Pfahlbauten


Todorova 1992, Henrieta: → Die westliche Schwarzmeerküste in der Urgeschichte (Stand der Forschung 1988). Univ. Sofia; Studia Praehistorica 11/12, 1992:5–9.


Im Süden des westlichen Schwarzmeerareals ist im Frühneolithikum die Kultur Fikirtepe verbreitet, festgestellt hauptsächlich um das Marmarameer. Wenige Funde aus der Umgebung von Burgas deuten darauf hin, daß im Spätneolithikum und Frühneolithikum auch die Umgebung der Burgsasseen besiedelt gewesen ist.

Aus der selben Zeit hat neulich M. Özdugan aus Istanbul Funde in der Höhle Yarymburgas nördlich von Istanbul freigelegt, die offensichtlich den dortigen Pendant der Kulturen Usoe und Sava darstellen. Wie diese Erscheinungen zu der Fikirtepekultur diachron stehen, ist aber bei dem heutigen Forschungsstand nicht zu beurteilen.

Besonders interessant ist die Entwicklung der westlichen Schwarzmeerküste im mittleren Äneolithikum. Diese Zeit ist in Südost- und Mitteleuropa durch mächtige und weitreichende Integrationsprozesse gekennzeichnet, welche zur Entstehung großer Kulturkomplexe geführt haben. An der westlichen Schwarzmeerküste ist ein Integrieren der Hamangia mit der Sava-Kultur in ihren späten Stufen zu beobachten, wobei auch von weither kommende Einwirkungen nicht fehlen. So sind alle inneren Liman-Siedlungen (wie Goljamo Delcevo an der Kamcia z. B.) stark seitens des Hinterlandes (z. B. von der Kultur Poljaniza in ihrer IV. Stufe) beeinflußt. Andererseits wurden neulich deutliche Präcucuteni III/Tripolie A Elemente im Grabinventar einiger Gräber von Durankulak festgestellt, was die Fragen über die Rolle des Schwarzmeergebietes in der Entstehung des großen Cucuteni-Tripliekomplexes, oder seiner südlichen Ausstrahlungen, aufwirft.

Im Rahmen dieser Integrationsprozesse formiert sich der westlichen Schwarzmeerküste entlang die spätänaolithische Kultur Varna. Sie zählt heute zu den best erforschten Kulturen Südosteuropas. In Durankulak sind alle ihre drei Entwicklungsstufen, sowie deren Unterstufen belegt. Die Träger der Varnakultur haben hier ein umfangreiches Gräberfeld sowie eine Tellsiedlung auf der Großen Insel hinterlassen. Ab dem mittleren Äneolithikum ist hier Steinarchitektur belegt, mit großen, trapezoiden Megaronhäusern – die frühesten für Kontinentaleuropa. Das berühmte Gräberfeld Varna I sowie jenes von Devnja gehören der III. Stufe der Varnakultur. Die Ufersiedlungen mit Pfahlbauten aus den Seen bei Varna und Burgas, sowie jene bei Kiten (Urdovisa) und Sozopol, gehören in ihren untersten Schichten ebenfalls der Varnakultur an.

Zahlreiche Kupfergegenstände stammen aus den Fundorten der Varnakultur. Ihre Analyse, durchgeführt im Moskauer Metallurgielabor unter der Leitung von E. N. Cernych, zeigt das Vorhandensein polimetallischen Kupfers, welches aus Nordthrazien bezogen sein könnte. Eine andere arsenhaltige Kupfersorte dagegen ist bislang unbekannten Ursprungs, könnte aber aus Medni-Rid bei Burgas stammen, vorausgesetzt, daß auch hier in der Kupferzeit Bergbautätigkeiten stattgefunden haben. Das ganze Metallfundgut des Areals hat eine spezifische typologische Ausprägung, gehört aber technologisch durchaus dem Balkano-karpatischen metallurgischen Bereich an.

Die Kultur Varna ist mitsamt dem Komplex Kodzadermen-Gumelnita-Karanovo VI (KGK VI) am Ende des 5. Jt. v. u. Z. durch eine sehr frühe Steppeninvasion und eine tiefgreifende ökologische Krise vernichtet worden. Der darauffolgende Zeitabschnitt wird im bulgarischen Chronologie-System als Übergangsperiode zwischen der Kupferzeit und der frühen Bronzezeit (im ägäischen Sinne des Begriffs) bezeichnet. Er umfaßt beinahe das ganze 4. Jt. v. u. Z. (d. h. bis etwa 3200 v. u. Z.). Dieser Zeitabschnitt ist durch archäologisches Fundgut äußerst spärlich belegt (was für ganz Südosteuropa der Fall ist). Im Norden Dobrudzas ist in dieser Zeit die Cernavoda I Kultur belegt. In südlicher Richtung ist diese Zeit stratigraphisch durch eine Meerestransgressionsschicht belegt, welche dem schon erwähnten Höhestand des Weltozeans zwischen 4000 und 3500 v. u. Z. entspricht. Seine Auswirkungen im sozialen Bereich haben offensichtlich einen kolossalen demographischen Kolaps als Folge gehabt.

Erst in der Frühbronzezeit ist erneut eine Besiedlung der westlichen Schwarzmeerküste belegt. Die Zäsur zwischen der Kupfer- und Bronzezeit ist am deutlichsten bei den Pfahlbausiedlungen zu beobachten (sie liegen heute zwischen 4 und 6 m unter dem Meeresspiegel). Ihre unteren Kulturschichten enthalten ausschließlich Fundgut der Varnakultur, getrennt durch sterile Ablagerungen von den oberen Schichten, die frühbronzezeitlich sind.

Im nördlichen Teil des Areals ist die Frühbronzezeit von der Cernavoda III (FBr. I.) und Cernavoda II (FBr. II/III) Kulturen vertreten. Ihre Siedlungen liegen auf dominierenden Erhöhungen. Funde dieser Kultur sind auch aus Durankulak, aus Varna und aus der Umgebung von Dalgopol (Novite Lozja) bekannt, so daß das Areal ihrer Verbreitung bis zum Ostbalkan verfolgt werden kann.

Besser belegt ist allerdings erst die II./III. Stufe der Frühbronzezeit, die in den Pfahlbausiedlungen von Varna, Burgas, Kiten und Sozopol durch die Ezerovo-Kultur belegt ist – eine Südvariante der s. g. Cernavoda II Kultur. In südlicher Richtung treten immer häufiger eindeutige trojanische Elemente im frühbronzezeitlichen Fundgut auf, was viele Forscher berechtigt, dieses zum trojanischen Kulturkreis zu rechnen.

Das Metallfundgut aus dieser Zeit weist auch tiefgreifende, typologische und technologische Änderungen im Vergleich zur Kupferzeit auf. Arsenbronzen kennzeichnen den neuen zirkumpontischen metallurgischen Bereich (nach E. N. Cernych).

Parallel zu dieser bronzezeitlichen Entwicklung der Küstenregion (oder an dieser anschließend?) sind in der Dobrucza die Träger der Jamjakultur belebt. Aus den zahlreichen Tumuli-Gräberfeldern sind auch einige erforscht worden. Der festgestellte Bestattungsritus weicht nicht von den üblichen Bräuchen dieser Steppenbevölkerung ab: Die Grabgruben sind mit Holzbalkenüberdachung versehen und beinhalten ockerbestreute Pseudohockers, sehr selten mit Grabbeigaben versehen. Es sind Planwagenreste und Steinstehlen bekannt. In welcher Beziehung diese Nomadenbevölkerung zu den seßhaften Küstenkulturen gestanden ist, ist schwer zu beurteilen, hauptsächlich aus relativ chronologischen Gründen, deren Klärung eine Aufgabe der künftigen Forschung ist.

Was die Mittlere Bronzezeit betrifft, so ist diese Zeit an der westlichen Schwarzmeerküste am schwächsten erforscht. Die vereinzelten Lesefunde, die auch aus den Pfahlbausiedlungen stammen, vermögen nicht das ethnokulturelle Bild dieses Zeitabschnitts zu klären. Eine sehr dünne Belegung der Mittleren Bronzezeit kennzeichnet allerdings den gesamten Nordosten der Balkanhalbinsel, was vielleicht eine objektive historische Tatsache widerspiegelt, welcher bislang kaum Aufmerksamkeit gewidmet worden ist.

Dagegen ist die Spätbronzezeit des betrachteten Areals außerordentlich gut belegt. Beinahe auf jeder dominanten Erhöhung sind Funde aus dieser Zeit auflesbar. Im nördlichen Teil des Gebietes bildet die Coslogenikultur ein dichtes Siedlungssystem. Auf der großen Insel bei Durankulak ist ein großer Teil einer mehrschichtigen Siedlung der Coslogenikultur freigelegt. Ihre großen Absiedenhäuser mit Steinsockeln umfassen die südlichen und den westlichen Hang der Insel. Ein palastartiges Gebäude wurde festgestellt. Stütz- und Terassierungsmauern von provinzieller zyklopischen Bauweise umfassen die Siedlung.

Auch südwärts um die Limanen und auch um naturgeschützte Höhen sind zahlreiche spätbronzezeitliche Funde gemacht, die gemeinsame Merkmale mit Troja VII A und VII B1 vorweisen. Schwerte, labrisartige Bipense als Lesefunde, Kupferbarren und Steinanker deuten auf rege Seefahrt hin, durch welche gewisse Kontakte mit der Mykenischen Welt zustande gekommen sein mögen.

Ein kontinuierlicher Übergang von diesem spätbronzezei8tlichen Horizont zu der frühen Eisenzeit ist im Rahmen des ganzen Westpontischen Areals, sowie im Inneren der Balkanhalbinsel, festzustellen …